Teile der Musikszene feiern die kürzlich beschlossene Urheberrechtsreform als Meilenstein. Endlich können MusikerInnen angemessen finanziell an der Verwertung ihrer Werke – besonders im Internet – beteiligt werden! KritikerInnen äußern Zweifel: Eventuell profitieren nur die Verwertungsgesellschaften. Und auch wir hatten auf diesem Blog gemutmaßt, dass am Ende die „kleinen“ MusikerInnen vielleicht nichts bekommen, weil sie nicht in der Verhandlungsposition sind, um ihre Rechte einzufordern. Und zufällig haben wir in der vergangenen Woche etwas erlebt, was uns in diesem Glauben bestärkt hat. Es ist die perfekte Geschichte darüber, was in der klassischen Musik mit der Rechteverwertung schief läuft.
Eine ganz normale Anfrage
Vor einigen Wochen wurde Daniel von einem Orchester als Aushilfe für ein Projekt angefragt. Per SMS – in unserer Branche ganz normal. Ebenso normal: Es wurde nicht über die genauen Konditionen gesprochen. Im gegenseitigen Vertrauensverhältnis geht man davon aus, dass die Vertragsbedingungen bekannt sind. Oder im Klartext: Die Aushilfe ist in einer so schwachen Verhandlungsposition, dass sie alle Bedingungen zu akzeptieren hat. Und zwar ohne, dass diese ihr mitgeteilt werden und egal, ob es am Ende einen Vertrag gibt oder nicht.
Dabei hatte Daniel noch Glück: Bei diesem Orchester ist es immerhin üblich, dass die Aushilfen tatsächlich einen Vertrag unterschreiben müssen/dürfen. Dieser wird einem in der ersten Probe ausgehändigt. Für Ergänzungen ist es dann natürlich zu spät. In anderen Orchestern ist es allerdings noch schlimmer, dort füllt man lediglich einen „Aushilfszettel“ aus. Wie es dort mit Versicherungsschutz oder Kündigungsfristen aussieht, mag man sich gar nicht vorstellen… Aber das nur am Rande.
Überraschung in der Hauptprobe
In einer der Proben wurde dann plötzlich mitgeteilt, die Hauptprobe sei in Konzertkleidung zu spielen. Es würden Aufnahmen gemacht. Nicht nur bei den Aushilfen sorgte diese Ankündigung für Stirnrunzeln. Davon war weder die Rede gewesen, noch gab es im Vertrag eine entsprechende Klausel. Um was für Aufnahmen es sich handeln sollte, war ebenfalls unklar. Vielleicht Fotoaufnahmen für ein Jahresheft?
In der Hauptprobe stellte sich heraus, dass es sich um aufwändige Filmaufnahmen handelte. Es war ein ganzes Kamerateam anwesend, das nicht nur das Orchester in seiner Gesamtheit filmte. Es gingen auch zwei Kameramänner durch die Reihen des Orchesters und filmten die MusikerInnen – auch Daniel – in Nahaufnahme. Das Ganze sollte für einen Image- bzw. Werbefilm verwendet werden, hieß es. Selbstverständlich lag weder dem Filmteam noch der Orchesterleitung eine Einverständniserklärung der Aushilfen (ca. 8 Personen) vor.
Vor der nächsten Probe ging Daniel zur Orchesterleitung und sprach die Situation an. Er erntete zunächst nur verständnislose Blicke. Recht am eigenen Bild? Einverständniserklärung? Gar eine Vergütung für die Aufnahmen? Davon hatte man noch nie gehört. Und wie so oft kam anschließend der berühmte Satz: Das käme nun wirklich zum allerersten Mal vor! Das überraschte uns doch sehr; aus anderen Orchestern kannten wir sehr wohl solche Einverständniserklärungen. Wer schon einmal bei CD-Aufnahmen mitgewirkt hat, weiß, dass man dafür hinterher sogar Tantiemen bekommt.
Zeit für einen kleinen juristischen Exkurs:
Das Recht am eigenen Bild
In Deutschland regeln das Recht am eigenen Bild die Paragraphen 22, 23, 24 und 33 des Kunsturheberrechtsgesetzes. Ohne uns zu sehr in die Details zu verstricken, kann man das Ganze so zusammenfassen: Jede Anfertigung und Veröffentlichung einer Aufnahme darf nur mit Zustimmung der abgebildeten Person erfolgen. Es gibt zwar Ausnahmen, aber grundsätzlich muss keine Person es hinnehmen, dass ihr Bild einfach so verwendet wird. Es spielt auch keine Rolle, ob die Person aktiv widersprochen hat. Wenn keine Einwilligung vorliegt, macht diejenige oder derjenige, der die Aufnahme anfertigt und/oder veröffentlicht, sich strafbar.
Verstöße gegen dieses Gesetz müssen allerdings von den Betroffenen angezeigt werden, sonst kann die Polizei nicht ermitteln. Die Konsequenzen für den oder die TäterInnen können je nach Fall und Gerichtsbarkeit von Unterlassungserklärungen bis hin zu Geld- oder Freiheitsstrafen reichen. Außerdem kann man Schadensersatz fordern. Es handelt sich also keineswegs um eine Lappalie, auch wenn die millionenfach hochgeladenen Bilder im Internet etwas anderes vermuten lassen.
Besonders eindeutig ist der Fall, wenn die Aufnahmen kommerziell genutzt werden sollen. Der Begriff „kommerziell“ ist dabei sehr weit gefasst: Alles, was nicht privat ist, gilt als kommerziell. Darunter fällt also nicht nur der Verkauf der Aufnahmen, sondern auch die Nutzung zu Werbezwecken. Die Erklärung ist einleuchtend: Das eigene Bild hat immer einen gewissen „Vermögenswert“, oder anders ausgedrückt: Andernfalls würde man kostenlos Werbung für jemand anderen machen. Und dieser verspricht sich von der Werbung ja einen finanziellen Vorteil, beispielsweise durch mehr Verkäufe. Es gibt sogar Rechtsexperten, die der Meinung sind, ein Unternehmen könne Aufnahmen gar nicht nicht-kommerziell nutzen. Und das bringt uns zu unserer Geschichte zurück.
Eine nachträgliche „Verzichtserklärung“?
Offenbar ist also doch etwas dran am Recht am eigenen Bild. Zu diesem Schluss kam wohl auch die Orchesterleitung. Zumindest gab es vor der nächsten Probe eine Ansprache, in der die Aushilfen aufgefordert wurden, der Orchesterleitung bitte bis zum Abend mitzuteilen, ob sie den Aufnahmen bzw. der Veröffentlichung widersprechen würden oder sie „selbstverständlich“ akzeptierten. Der Druck auf die Aushilfen war jetzt natürlich enorm. Wer kann bitte garantieren, dass eine Verweigerung nicht zum Ausschluss aus dem Projekt führt bzw. zukünftige Engagements verhindert? Uns sind diverse Geschichten aus verschiedenen Orchestern bekannt, wo Aushilfen auch aus laufenden Produktionen geworfen wurden – meistens nicht aus künstlerischen Gründen, sondern nur, weil Unstimmigkeiten mit der Orchesterleitung vorlagen.
Ein weiteres Mal ging Daniel zur Orchesterleitung… Er wies darauf hin, dass es so nicht funktionieren würde. Die Aushilfen könnten gar keine Einwilligung geben, weil sie ja nicht wüssten, in was sie genau einwilligen würden. Diese Einverständniserklärung müsste schon die Orchesterleitung formulieren. Wieder gab es verständnislose Blicke, doch wieder stellte sich heraus, dass es sich genau so verhielt: Am nächsten Tag fanden die Aushilfen auf ihren Notenpulten Zettel, auf denen eine Einverständniserklärung abgedruckt war. Wobei, „Verzichtserklärung“ wäre wohl die passendere Bezeichnung: Die Aushilfen sollten unterschreiben, dass sie jegliche Rechte an den Aufnahmen an das Orchester abgeben würden, Nutzung zu Werbezwecken inklusive, selbstverständlich ohne irgendeine Form der Vergütung. Bei der Formulierung dieses Punktes hatte man sich besonders viel Mühe gegeben.
Illegal oder einfach nur unmoralisch?
Wir haben uns zu diesem Fall juristisch beraten lassen. Es scheint so, dass diese Art „Einverständnis“-Erklärungen in unserer Branche nicht selten sind. Dabei wird eiskalt ausgenutzt, dass die wenigsten MusikerInnen sich gut genug mit dem Thema auskennen, um ernsthaft gegen eine solche Erklärung vorzugehen. Man unterschreibt eben, was einem vorgelegt wird. Man will ja schließlich nicht riskieren, beim nächsten Mal nicht mehr engagiert zu werden.
Dabei machen sich viele nicht einmal die Mühe, eine juristisch wirksame Erklärung vorzulegen. Wer Schadensersatz fordern will, kann das oft auch bei einer unterschriebenen Erklärung tun. Die Formulierungen über die Verwendung der Aufnahmen sind beispielsweise nicht präzise genug und es tritt schnell die Situation ein, dass sie für etwas verwendet werden, was gar nicht vereinbart war. Die Erfolgsaussichten einer solchen Klage sollte man in jedem Fall mit einem Anwalt besprechen.
Aber unabhängig davon kann jeder selbst beurteilen, ob ein unentgeltlicher Verzicht auf Rechte fair ist – besonders, wenn die MusikerInnen keine ernsthafte Wahl haben, ob sie den Wisch unterschreiben oder nicht. Keine Verträge, Verzicht auf Rechte, Verzicht auf Geld, lächerlich niedrige Gagen – irgendwo dazwischen hat das Verhalten der Orchester die Grenze zum Unmoralischen längst überschritten. Wo ist da bitteschön das viel zitierte „Vertrauensverhältnis“ zwischen Aushilfen uns Orchestern?
Die oben geschilderte Situation hätte sich übrigens sehr schnell lösen lassen: Eine Einwilligung in Aufnahmen gilt nämlich in der Regel als erteilt, wenn eine finanzielle Vergütung dafür erfolgt ist. Doch diese Möglichkeit stand für das Orchester nie zur Debatte – trotz eingestandenem eigenem Verschulden und einem mutmaßlichen Verstoß gegen geltendes Recht. Deutlicher kann eine Machtdemonstration nicht ausfallen.
Viele MusikerInnen haben gejubelt, als das neue Urheberrecht verabschiedet wurde. Bei aller Kritik – für uns MusikerInnen wird ja nun alles besser, oder? Endlich mehr Geld für alle! Dabei vergessen viele: Bei der Reform ging es auch darum, der Gesellschaft zu zeigen, dass eine Vergütung von KünstlerInnen fair sein und im Verhältnis zur erbrachten Leistung stehen muss. Wenn wir das noch nicht einmal untereinander hinbekommen, werden uns ziemlich schnell die Argumente ausgehen.