Ich gebe es zu: Ich bin kein richtiger Künstler! Als wegen der Corona-Pandemie alle meine Engagements abgesagt wurden – ohne Ausfallgage, selbstverständlich –, hatte ich nicht den unwiderstehlichen Drang, mich vor Publikum künstlerisch auszudrücken. Die musikalische Energie in mir drohte nicht überzukochen. Sie musste sich keinen Weg durch Livestreams, Balkonkonzerte oder auch nur neue Arrangements in die von Solidarität durchseuchte Welt bahnen. Stattdessen packte ich mein Instrument ein, stellte es in die Ecke und rührte es die nächsten drei Wochen nicht mehr an, bis die Hornhaut an meinen Fingerkuppen so dünn geworden war, dass ein Glissando im Mezzopiano schon eine Blase verursacht hätte.

Livestreams über Livestreams

Doch da scheine ich ziemlich alleine dazustehen. Schon bald nach der Verschärfung der Maßnahmen im März quoll das Netz quasi über vor Angeboten von MusikerInnen, die entweder wie ich plötzlich ohne Einkommen dastanden oder die als Festangestellte auf einmal sehr viel Zeit zum Üben hatten. Kaum ein Tag verging ohne Livestream bei Facebook, YouTube, Skype oder Zoom. Diese Angebote waren größtenteils eins: Kostenlos! Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Genau diejenigen, die schon vorher vielfach prekär beschäftigt waren und jetzt in der Krise einen Großteil ihres Einkommens verlieren, sorgen nun dafür, dass es für die breite Bevölkerung in dieser schweren Zeit auch noch künstlerisch wertvolle Unterhaltungsangebote gibt, damit die nicht den ganzen Tag bei Netflix bingewatchen oder am PC zocken muss. Hmmm.

Mittlerweile haben glücklicherweise auch andere MusikerInnen erkannt, dass diese Selbstausbeutung weder für sie persönlich noch für den Arbeitsmarkt gut ist. Es mehren sich die Stimmen, die fordern, man möge doch bitte wenigstens ein Spendenkonto angeben, wenn man schon kostenlose Livestreams anbietet. Ganz einfach deshalb, um dem Publikum klarzumachen, dass das, was sie dort tun, enorm wertvolle Arbeit ist, die entsprechend entlohnt werden sollte. Aber dann gibt es da noch die ganz Unbelehrbaren, die nicht nur selbst kostenlose Angebote online stellen, um ihr Publikum bei der Stange zu halten, sondern auch noch andere MusikerInnen dazu bringen wollen, umsonst für sie zu arbeiten.

Rückblick: Das Recht am eigenen Bild

Vor einiger Zeit hatten wir schon einmal einen Artikel zum Thema geschrieben (Verschenkt nicht Euer Recht am eigenen Bild!). Das war natürlich lange vor Corona; kurz zusammengefasst ging es um Folgendes: Ich hatte bei einem Orchester als Aushilfe bei einem Sinfoniekonzert gespielt. Eine der Proben wurde für einen Werbefilm mitgeschnitten, ohne dass die Aushilfen darüber informiert worden waren. Ich beschwerte mich bei der Orchesterleitung und nach zähem Ringen wurden den Aushilfen schließlich nachträglich „Einwilligungserklärungen“ vorgelegt, die sie unterschreiben sollten. Darin verzichteten sie auf ihre Bildrechte und erklärten sich einverstanden, dass das Material ohne zusätzliche Vergütung verwendet werden könnte. Ich unterschrieb natürlich nicht.

Doch damit war die Geschichte noch nicht zu Ende: Ein paar Monate später stellte ich fest, dass der Film fertig und bei YouTube hochgeladen worden war. Ich war zwar nur in zwei kurzen Einstellungen zu erkennen, fühlte mich aber trotzdem ziemlich verschaukelt. Ich schrieb einen Brief an den Orchestervorstand, in dem ich die Situation noch einmal schilderte und um eine Stellungnahme bat. Ich schlug auch eine (geringe) Vergütung der mitwirkenden Aushilfen vor, um die Geschichte ein für alle mal abzuhaken. Natürlich erhielt ich keine Antwort.

Jetzt werden vielleicht manche denken: Das sind doch Lappalien! Warum gibst Du nicht einfach Dein Einverständnis und lässt die Sache auf sich beruhen? Dazu möchte ich sagen: Die Verwendung von Bildaufnahmen ohne die Einwilligung des Abgebildeten kann eine Straftat darstellen! Es wird zwar viel zu selten geahndet, aber ein Geschädigter kann schnell auf Schadensersatz klagen, wenn das Bild zu kommerziellen Zwecken genutzt wird (was hier der Fall ist!). Viele Orchester und Veranstalter bereichern sich auf diese Art an der Arbeit der MusikerInnen, ohne dass sie auf die Idee kommen, diese Arbeit auch zu vergüten. Es ist ein Fehler, dass die meisten MusikerInnen das mit sich machen lassen.

Mach Werbung für mich – ich zahl Dir auch nix!

Doch dreister geht es offenbar immer: Heute erhielt ich einen Anruf des Managers desselben Orchesters, der mich fragte, ob ich mir prinzipiell vorstellen könnte, einer Veröffentlichung doch noch zuzustimmen. Das Orchester leide momentan sehr unter den Konzertabsagen und wolle nun dem Publikum ein breiteres Onlineangebot zur Verfügung stellen. Prinzipiell natürlich gerne, sagte ich, es käme eben nur auf die Konditionen an. Da druckste er herum und musste schließlich zugeben, dass dafür keine finanziellen Mittel vorgesehen seien. Wir diskutierten anschließend noch etwas darüber, ob nun eine kurze Totale schon Anspruch auf Vergütung rechtfertige, oder ob ein „Imagefilm“ (ein schöner Euphemismus für „mach kostenlos Werbung für mich“) denn schon eine kommerzielle Nutzung sei. Doch nach der Vorgeschichte blieb ich hart und verweigerte mein Einverständnis. Warum um alles in der Welt sollte ich dem auch zustimmen? Schließlich bedankte er sich für das Gespräch und legte auf. Ich denke, dass ich in Zukunft wohl eher keine Anfragen mehr von diesem Orchester erhalten werde.

Es ist schon ein starkes Stück, wie manche Orchester sich verhalten. Es ist klar, dass viele Orchester schon vor Corona unter starkem finanziellen Druck standen. Sie haben ihren Betrieb dadurch aufrecht erhalten und ihre Angestellten versorgt, indem sie freie Aushilfen zu Dumpinglöhnen „beschäftigten“. Und nun in der Krise haben sie den Mumm, bei denen, die sie vorher ausgebeutet haben, um Almosen zu bitten – mit einem Selbstverständlichkeit, als würden wir freie MusikerInnen bei den Orchestern in der Schuld stehen.

Kann die Szene die Krise überstehen?

Ich bin sehr froh, dass Lauras Musikschule beschlossen hat, ihre Honorarkräfte auch in der Krise weiterzubezahlen. Ganz abgesehen davon, dass uns dies natürlich einen größeren finanziellen Spielraum bietet, erhält es auch meinen Glauben an die Menschen. An manchen Orten, z.B. in der Stadt Sankt Augustin, ist es offenbar möglich, die Krise gemeinschaftlich zum Wohle aller zu meistern! Doch das funktioniert nicht überall: Die groß beschworenen Solidarität, die momentan von allen Seiten gefordert wird, kann ich grundsätzlich in der Musikszene nicht erkennen. Der Kampf um den zweifelsohne noch weiter geschrumpften Arbeitsmarkt nach Corona hat längst begonnen. Da will jeder schon jetzt seine Schäfchen ins Trockene bringen. Mit den Orchestern fühlen sich aber gerade diejenigen bedroht, die durch staatliche Subventionen noch am besten abgesichert sind. Momentan sieht es so aus, als würden vor allem die freiberuflichen MusikerInnen auf der Strecke bleiben. Doch auch die Orchester – einer der Haupt-Arbeitgeber der Szene – sollten sich nicht zu sicher fühlen. Vielleicht fragt ja irgendwann einmal jemand: Wie habt Ihr Euch eigentlich in der Krise verhalten? Was habt Ihr für die Musikszene getan? Die Antwort dürfte bei so manchem dürftig ausfallen.

Daniel

1 Comment

  1. Ulla sagt:

    Da sprichst du mir aus der Seele, sehr guter Beitrag und großer Respekt, dass du nicht klein beigegeben hast! – Und trotzdem halte ich den letzten Satz für einen frommen Wunsch, denn es wird nach der Krise keiner Fragen “was hast du denn für die Szene getan?”. Solidarität ist super, wenn sie nichts kostet. Und man kann sich toll fühlen, abends auf dem Balkon für die Held*innen der Krise zu applaudieren und dennoch am nächsten Tag die Kassiererin im Supermarkt zusammenfalten, weil sie nur EIN Paket Klopapier verkaufen darf.
    Bin gerade sehr desillusioniert, denn das Verhalten “meines” Museums hat mir gezeigt, dass wir Freiberufler austauschbar sind: geh doch, wenn’s dir nicht passt, da stehen zwanzig Leute in der Warteschlange, die dich ersetzen. Und es scheinen gerade diejenigen zu sein, die es “geschafft” haben eine Festanstellung zu ergattern, die einem jetzt die dicksten Steine in den Weg legen. Natürlich sind wir solidarisch – aber warum ausgerechnet mit euch?
    Und dann höre ich unserer Kulturstaatsministerin Frau Grütters zu, möchte mich am liebsten übergeben und werde den Verdacht nicht los, dass sich nichts ändern wird. Im Gegensatz zu dir ist mein Glaube an die Menschheit sehr erschüttert.
    Und weißt du was? Ich geh da wieder hin, weil ich den Job gerne mache. Verrückt, oder?

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