Am 26. März 2019 wurde vom Europaparlament die Richtlinie zur Reform des Urheberrechts beschlossen. Da diese Richtlinie uns als MusikerInnen direkt betrifft, haben wir uns dazu entschlossen, einen Artikel zu schreiben, der sich mit den Argumenten dafür und dagegen beschäftigt. Obwohl das Thema bereits zur Genüge diskutiert wurde, tun wir dies, weil es uns missfällt, wie ganze gesellschaftliche Gruppen („MusikerInnen“, „Generation YouTube“, etc.) in die Kategorien Pro und Contra Urheberrecht eingeteilt werden. Von diesem Schubladendenken möchten wir uns ausdrücklich distanzieren und jeden dazu aufrufen, sich anhand der Fakten selbst ein Bild zu machen.

Hier ist der Link zum Text der Richtlinie, Artikel 17 (früher 13) beginnt ab Seite 121.

Dieser Blogbeitrag ist zur besseren Lesbarkeit in vier Teile aufgeteilt. Viel Spaß beim Lesen!


Teil 1: Eine kurze Geschichte des Internets.
Teil 2: Die Reform.
Teil 3: Hält die Reform das, was sie verspricht?
Teil 4: Proteste und Kritik: Warum ist der Ton so scharf?


Ganz egal, auf welcher Seite man nun steht: Was in den letzten Wochen und Monaten rund ums Thema Urheberrechtsreform zu lesen und zu hören war, hat nicht wenige angeekelt zurückgelassen. GegnerInnen und BefürworterInnen bezichtigten sich gegenseitig der Lüge, logen oder pflaumten sich direkt auf einem Niveau unterhalb der Gürtellinie an. Soweit typisch für eine politische Diskussion in der Trump-AfD-Ära. Doch was dann passierte, überraschte wohl vor allem die BefürworterInnen: Es regte sich massiver Widerstand in großen Teilen der Bevölkerung. Zunächst wurde noch versucht, den Protest kleinzureden. Axel Voss (CDU) gab in einem Interview zu Protokoll: „Da waren ja immer nur so’n paar Leute da.“ Gemeint waren die Demos, auf denen am 23.03.2019 schließlich deutschlandweit zwischen 100.000 und 150.000 Menschen protestierten.

Wir wollen hier niemandem die Absolution erteilen und es ist auf beiden Seiten viel Mist gesagt worden, aber in der ganzen Debatte fällt eine Sache auf: Während viele GegnerInnen der Reform sich mit viel Zeitaufwand die Mühe machten, inhaltliche Kritik an den geplanten Artikeln heraus zu arbeiten, beschränkten die BefürworterInnen sich schnell darauf, zu populistischen Tricks zu greifen.


Jürgen Kaube (FAZ) meint, die GegnerInnen fänden den „rechtswidrigen Zwischenhandel“ im Internet „nicht so schlimm“ und wollten sogar „das Recht opfern“. Belege, wer dies wann gesagt haben soll, liefert er leider keine.

Micki Meuser (Welt) unterstellt den GegnerInnen, sie seien einer „Gehirnwäsche“ unterzogen worden. Auch hier fehlen die Belege, im Artikel ist lediglich ein anderer Welt-Artikel verlinkt, in dem es um die Datensammelwut amerikanischer Konzerne geht. Sein Posten im Aufsichtsrat der GEMA wird in der Kurzbiografie unter dem Artikel nicht erwähnt.

Matthias Hornschuh sagt in einem 3sat-Bericht, „die meisten“ würden die Ziele der Reform nicht verstehen, weil sie sich „nicht mit dem Lizenz-System auseinandersetzen“ würden. Auch Hornschuh ist Aufsichtsratsmitglied der GEMA, im Bericht wird er aber lediglich als „Komponist“ vorgestellt.

Ganz anders kommt schon optisch die Kolumne von Sascha Lobo auf SPIEGEL online daher: Er unterlegt seine Aussagen – obwohl als Kolumne gekennzeichnet – mit Belegen und weist am Ende des Artikels auf den Zusammenhang des SPIEGELS und seiner eigenen Person zur Bertelsmann-Gruppe hin. Unabhängig von der Meinung, die er vertritt und bei aller Polemik: So sieht ein journalistisch gut gemachter Artikel aus, selbst wenn die Person Sascha Lobo durchaus umstritten und den Reform-Befürwortern ein „rotes Tuch“ ist.

Solche Details sind wichtig in einer Debatte, in der dem Gegenüber permanent Unsachlichkeit unterstellt wird. Der YouTuber Rezo hat in einem Video noch weitere Techniken der Reform-BefürworterInnen zusammengefasst, die darauf abzielten, die Diskussion auf eine unsachliche Ebene zu ziehen.

Vielleicht haben die CDU/CSU/EVP-PolitikerInnen gedacht, es würde sich niemand für den Inhalt einer bürokratischen EU-Richtlinie interessieren, zumindest aber haben sie den folgenden Proteststurm unterschätzt. Dass sie dann diese Proteste nicht ernst genommen und die DemonstrantInnen wie unmündige Kinder behandelt haben, zeugt nicht nur von Respektlosigkeit, sondern auch von schlechtem Stil.


Es kursierten und kursieren in der Berichterstattung einige weitere Aussagen, die wir hier gerne beleuchten würden:

Die Situation, wie sie jetzt ist, ist gut und muss nicht geändert werden.

Es gibt wohl Leute, die der Meinung sind, man müsse an der jetzigen Urheberrechtsgesetzgebung nichts ändern. Dazu muss man natürlich sagen: Seit Jahren bereichern sich die großen Plattformen auf Kosten der Kreativschaffenden. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Daher kann man den Unmut vieler MusikerInnen und der GEMA verstehen. Doch die Anzahl der Leute, die die jetzige Situation beibehalten wollen, ist zum Glück gering. Tatsächlich wurde der Hashtag #yestocopyright vielfach von Leuten benutzt, die zwar gegen Artikel 13 (mittlerweile Artikel 17) sind, aber sich dennoch für ein besseres Urheberrecht aussprechen. Diese beiden völlig verschiedenen Dinge unter einen Hut zu bringen, war ein Trick der Artikel-13-BefürworterInnen, mit dem sie die GegnerInnen diskreditieren wollten. Das ging auch mal nach hinten los: In einem Tweet berichtete die GEMA, Lena Meyer-Landrut habe sich für Artikel 13 ausgesprochen. Kurze Zeit später stellte die Sängerin dies richtig: Sie habe sich lediglich für das Urheberrecht generell stark gemacht, eine Zustimmung zu Artikel 13 sei dies nicht gewesen.

Wer nicht für die Reform ist, will das Internet zum rechtsfreien Raum machen, KünstlerInnen nicht für ihre Arbeit bezahlen und das Urheberrecht am besten ganz abschaffen. Wer gegen die Reform ist, hat sie nicht verstanden.

Viele Personen und Gruppierungen sind gegen die Reform, weil ihnen einzelne Aspekte daran nicht gefallen. Daraus zu schließen, dass alle ReformgegnerInnen das Urheberrecht an sich ablehnen, ist schon rein logisch nicht zulässig. Die meisten KritikerInnen haben sachliche Kritikpunkte, auf die sie wiederholt hingewiesen haben. Bei den KritikerInnen handelt es sich auch keineswegs um ein paar Gamer-Kids, die den ganzen Tag Filme bei Kinox.to schauen wollen, sondern um namhafte Organisationen wie Human Rights Watch oder WissenschaftlerInnen der Universität Oxford sowie des Max-Planck-Instituts. Diesen pauschal zu unterstellen, sie wüssten nicht, worum es geht, ist mehr als dreist.

Die Proteste gegen die Reform wurden von Google organisiert und bezahlt.

Diese Behauptung wurde unter anderem von der CDU aufgestellt. Die angeblichen Belege dafür stellten sich allerdings schnell als nicht belastbar heraus. Trotzdem wurde die Aussage in einem Interview mit der BILD verbreitet. Im bereits früher erwähnten Video von Christian Solmecke erklärt er, wie es zu dieser Aussage kam: Eine NGO, die mutmaßlich mit Google zusammenhängt, hatte einigen wenigen Personen angeboten, ihnen die Reisekosten nach Brüssel in Höhe von 450 € zu bezahlen, wenn sie mit den PolitikerInnen dort diskutieren wollten.

Wer gegen die Reform ist, macht sich zum Handlanger von Google.

100.000 DemonstrantInnen zu unterstellen, kein einziger von ihnen sei aus eigener Motivation zu seiner Meinung gekommen, sondern von Google beeinflusst worden, ist aberwitzig. Es gibt sicher einige, die sich nicht ausreichend informiert haben. Aber auch diesen Menschen muss das Recht zugestanden werden, sich für oder gegen eine Sache zu positionieren.
Bei so einem komplexen Thema kann es kein „richtig“ oder „falsch“ geben. Die Meinung verschiedener Parteien sollte man auf jeden Fall anhören und nicht jeden, der nicht die eigene Position vertritt, pauschal diskreditieren.

Die GegnerInnen (bzw. die BefürworterInnen) der Reform wollten keine sachliche Debatte.

Diese Aussage ist definitiv nicht korrekt. Julia Reda (Piratenpartei) berichtet, es habe eine Vielzahl an Änderungsvorschlägen an der Richtlinie und Alternativen gegeben. Diese seien allerdings nicht berücksichtigt worden. Außerdem fände sie es „erschreckend, wie wenig wissenschaftlicher Rat in der Politik interessiert“. Damit reagierte sie vor allem auf die Aussage, es habe keine anderen Vorschläge gegeben. Axel Voss (CDU) sagte immerhin: Es habe keine „besseren“ Vorschläge gegeben. Den Versuch einer Alternative machte beispielsweise auch Christian Solmecke in einem weiteren Video.

Alle MusikerInnen sind für die Reform.

Die GEMA behauptet unter anderem auf ihrer Seite, sie würde für die MusikerInnen sprechen und deren Rechte einfordern. Schon aus unserer Perspektive können wir klarstellen: Es gibt durchaus MusikerInnen, die sich von der GEMA bei der Urheberrechtsreform schlecht vertreten fühlen. Die Folgen der Reform für die MusikerInnen sind nicht abzusehen, was vor allem an den von einer Vielzahl an KritikerInnen angesprochenen inhaltlichen Mängeln liegt. Die GEMA und andere BefürworterInnen der Reform waren schnell dabei, als es darum ging, den KritikerInnen eine Vereinnahmung durch Google vorzuwerfen. Die MusikerInnen für ihre Zwecke zu vereinnahmen, damit hat sie aber offenbar kein Problem (siehe Lena Meyer-Landrut).

Die Reform ist beschlossen – kehrt jetzt Ruhe ein?

Jetzt, wo die Reform vom Europaparlament beschlossen wurde, wäre die Zeit gekommen, wo sich KritikerInnen und BefürworterInnen an einen Tisch setzen und die Fehden ad acta legen. Leider kann man beobachten, dass es Leute gibt, die daran wenig Interesse haben: In der Woche nach der Abstimmung legte mutmaßlich das InternetaktivistInnen-Kollektiv Anonymous mit DDoS-Attacken die Internetpräsenzen mehrerer Verwertungsgesellschaften lahm. Und auch Teile der KünstlerInnen greifen nach wie vor in die unterste Argumentationsschublade, um KritikerInnen zu diffamieren. So fängt Tobias Könemann (Geschäftsführer der Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer e.V.) in der April-Ausgabe der nmz noch einmal ganz von Vorne an: Die KritikerInnen seien „Schreihälse“ und hätten den umstrittenen Artikel 13 (jetzt 17) „wohl kaum“ gelesen.

Uns bereitet dieser Umgangston Sorge. Was Anonymous und diverse YouTuberInnen, die tatsächlich keine Ahnung haben, was sie da faseln, tun, darauf haben wir leider keinen Einfluss. Aber wie sich einige KünstlerInnen in dieser Debatte gebärden und zu welchen Aussagen sie sich hinreißen lassen, ist uns als MusikerInnen peinlich. Das Bild, was von uns in der Bevölkerung entsteht, ist fatal. Schon jetzt ist es so, dass die Kunst und besonders die Musik vielen ein Buch mit sieben Siegeln ist. Das erleben wir immer wieder, wenn wir uns bei Konzerten oder im Privaten mit Nicht-MusikerInnen unterhalten. Die Entstehung von Musik, die Ausbildung, die Verwaltungsstrukturen und nicht zuletzt die Rechteverwertung durch die GEMA scheint vielen intransparent und abgehoben. Egal, welche Vergütung uns theoretisch angemessen erscheint: Wenn wir einfach nur auf ihr beharren und uns noch nicht einmal die Mühe machen, sie den Leuten zu erklären, wirken wir nicht grade sympathisch, sondern bestätigen nur die Vorurteile gegenüber MusikerInnen. Wen wollen wir so überzeugen?

Unser Fazit

Es ist keineswegs dumm oder kurzsichtig, als MusikerIn gegen die EU-Richtlinie zur Reform des Urheberrechts zu sein. Genauso wenig wollen die BefürworterInnen das (freie) Internet abschaffen. Lasst Euch nicht von LobbyistInnen für deren Zwecke vereinnahmen. Beschäftigt Euch mit den verschiedenen Quellen, lest den Text der Richtlinie und macht Euch Eure eigenen Gedanken. Viele IT-ExpertInnen, PolitikerInnen, Menschenrechtsverbände und Datenschutzbeauftragte haben gute, sachliche und berechtigte Kritik an ihr geäußert, die man nicht einfach ignorieren sollte. Und den BefürworterInnen der Reform wie der GEMA möchten wir sagen: Sprecht nur für Euch selbst und macht klar, dass ihr die Reform aus eigenen Interessen unterstützt habt. Tut nicht so, als hättet Ihr die Gesamtheit der MusikerInnen hinter Euch, die Ihr repräsentiert.

Besonders in Zeiten, in denen populistische Methoden zum Alltag der Politik geworden sind, möchten wir unsere Interessen nicht von PolitikerInnen und LobbyistInnen mit solch schlechtem Stil vertreten lassen. Wir als Harfenduo sind ganz klar für eine Stärkung der RechteinhaberInnen und eine Reform des Urheberrechts – aber nicht diese. Denn das größte Problem dieser Reform ist folgendes: Sie wird die Gerichte, Gesetzgeber und Plattformen auf Jahre beschäftigen. Sollte sich herausstellen, dass die Reform zum Nachteil vieler sein wird – was uns angesichts der massiven inhaltlichen Kritik wahrscheinlich erscheint –, wird es nicht einfach sein, diese Entwicklung umzukehren. Eine neue Reform, die diesen Namen auch verdient hat, wird es so schnell nicht wieder geben.

Neben den politischen Kämpfen der großen Unternehmen gibt es natürlich noch ein anderes wichtiges Feld: Die Plattformen stellen zwar die Strukturen zu Verfügung, aber letzten Endes haben immer einzelne NutzerInnen die geschützten Inhalte widerrechtlich hochgeladen. Haben wir alle es uns zu bequem gemacht und dankend angenommen, dass immer alles sofort verfügbar ist, ohne nachzufragen, ob die Urheber hier übergangen werden?

Hoffentlich trägt die aktuelle Debatte dazu bei, in Zukunft eine höhere Sensibilität für Urheberrechte und Kopierschutz zu schaffen.

Dazu kann uns EU-Kommissar Günther Oettinger (k)ein Vorbild sein: Nach der Abstimmung im EU-Parlament twitterte er das Ergebnis. Dazu benutzte er eine Grafik, die er ohne Quellenangabe von Julia Reda kopiert hatte. Außerdem schrieb er das Wort „Copyright“ falsch. Nun ja.

Laura & Daniel


Über uns: Wir, das Harfenduo Laura Oetzel & Daniel Mattelé, sind freischaffende MusikerInnen und bei keinem Arbeitgeber fest angestellt. Wir sind keine Mitglieder bei der GEMA oder anderen Verwertungsgesellschaften. Laura Oetzel ist Mitglied im Deutschen Tonkünstlerverband (DTKV) und bei Ver.di. Darüber hinaus sind wir Mitglieder im Verband der Harfenisten in Deutschland (VdH e.V.). Wir präsentieren einige unserer Konzertmitschnitte über die Plattform YouTube, haben dort aber keine Monetarisierung eingeschaltet. Keine der oben genannten Gruppierungen oder Unternehmen unterstützt uns finanziell oder hat Einfluss auf unsere Blogbeiträge. Die Beiträge stellen ausschließlich unsere persönliche Meinung dar. (Stand: April 2019)

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