Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Klimawandel sind die Themen der Stunde. Die Gestaltung unserer Zukunft rückt verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit – ob bei den Europawahlen, den „Fridays for Future“-Demonstrationen oder in Diskussionen bestimmter YouTube-Videos. Die Einhaltung der Klimaschutzziele ist die wahrscheinlich größte gesellschaftliche Herausforderung der Gegenwart. Doch wie immer bei komplexen Themen muss man auch den Einzelnen betrachten. Daher beleuchten wir in diesem Artikel einmal die Rolle und die Verantwortung der MusikerInnen im Klima- und auch gesellschaftlichem Wandel.
Musik und Klimawandel
Was hat das nun alles mit uns MusikerInnen zu tun? Nun, man könnte jetzt natürlich sagen, dass die Ausübung des Berufs als MusikerIn schon ziemlich CO2-neutral ist. Das stimmt allerdings nur auf den ersten Blick: Die meisten MusikerInnen sind beispielsweise viel mit dem Auto unterwegs, schon allein, weil man sein Instrument nur schwer oder gar nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln transportieren kann (jaja, Flöte wäre nicht nur leichter, sondern auch klimafreundlicher gewesen…). Außerdem sind Konzertreisen fester Bestandteil vieler Berufsbilder. Und ganz abgesehen davon: Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, kann sich niemand zurücklehnen und glauben, er müsse sich nicht an Maßnahmen beteiligen.
Aber es geht in der Debatte auch viel darum, wie wir ganz allgemein unsere Zukunft gestalten wollen. Können wir uns den maßlosen Konsum und Luxus noch erlauben, den wir aktuell praktizieren? Und dies ist eine Frage, die uns MusikerInnen ganz direkt betrifft. Machen wir uns nichts vor: Klassische Musik ist ein Luxusgut.
Betrachten wir einmal das Worst-Case-Szenario: Politik und Gesellschaft zögern die Maßnahmen gegen den Klimawandel so lange hinaus, bis nur noch radikale Maßnahmen helfen. Dann kann man davon ausgehen, dass diese Maßnahmen einiges an Geld kosten werden. Wird dann im Haushalt genügend Geld vorhanden sein, um die klassische Musik noch in dem Maße zu fördern, wie es im Moment der Fall ist? Es ist ja jetzt schon so, dass viele Orchester oder Musikschulen Schwierigkeiten haben, die finanzielle Absicherung des laufenden Betriebs zu gewährleisten. Wird der Klimawandel zu gesellschaftlichen Umbrüchen führen, bedarf es schon einer gehörigen Portion an Optimismus, um zu glauben, dass ausgerechnet wir klassischen MusikerInnen einfach so weitermachen können wie bisher.
Doch man sollte auch nicht alles schwarzmalen. Nicht umsonst benutzt man die Worte „Kultur“ bzw. „Hochkultur“, wenn man von vergangenen Zeiten und Völkern spricht. Die kulturelle Vielfalt ist ein essentieller Teil einer Gesellschaft und wir werden mit oder ohne Klimawandel in der Zukunft kulturelle Veranstaltung benötigen. Die Frage ist nur: Können wir die Gesellschaft auch zukünftig davon überzeugen, dass die klassische Musik ein schützenswertes Kulturgut ist? Ohne Fördermittel hätte die klassische Musik auf dem freien Markt nämlich kaum Chancen.
Der Klimawandel stellt uns MusikerInnen also vor zwei zentrale Fragen:
– Wie können wir den aktuellen Betrieb klimafreundlicher gestalten?
– Wie können wir unsere Außendarstellung verbessern, damit wir auch in Zukunft Teil der kulturellen Gesellschaft sein werden?
Wie können wir den aktuellen Betrieb klimafreundlicher gestalten?
Bei der Beantwortung der ersten Frage fallen natürlich sofort die unzähligen Kilometer ins Auge, die wir auf Deutschlands Autobahnen auf dem Weg zur Mucke verbringen. Meistens alleine in unserem Auto, weil wir mit Instrumenten, Konzertkleidung, Notenständern und sonstigem Zubehör entweder gar keinen Zug nehmen können, oder weil nach einem abendlichen Konzert kein Zug mehr fährt, der uns noch nach Hause bringen würde. Es wäre natürlich schön, wenn das ÖPNV-Angebot so weit ausgebaut würde, dass sich diese Probleme von selbst erledigen. Bis es so weit ist, können auch wir etwas tun:
1. Bildet Fahrgemeinschaften
Dieser Tipp ist nicht grade neu, doch wird er nach wie vor von zu wenigen beherzigt. Egal, ob ihr auf dem Weg zum Orchester, zur Musikschule oder zur Mucke seid, es gibt bestimmt noch andere MusikerInnen, die den selben Weg haben. Und für längere Strecken gibt es ja ohnehin zahlreiche Mitfahr-Plattformen im Internet.
2. Nehmt kleine Nachteile in Kauf
Es mag sein, dass eine Zugfahrt länger dauert oder ihr sehr früh losmüsst, weil die Verbindung zeitlich ungünstig liegt. Aber so etwas sollte man für den Klimaschutz in Kauf nehmen. Außerdem werden die Nahverkehrsangebote langfristig wohl kaum ausgebaut, wenn die Züge halb leer bleiben.
Wenn die Nachteile zu groß werden, lohnt es sich unter Umständen auch, nach den Hintergründen zu fragen. Kann das Orchester die Probe beispielsweise um eine halbe Stunde verlegen, damit man auch per Zug noch pünktlich kommt? Gibt es in der Musikschule vielleicht Schüler, die schon mittags kommen können, damit ihr abends früher gehen könnt und noch den letzten Zug erwischt?
3. Lasst Euch Fahrtkosten erstatten
Es gibt tatsächlich noch MusikerInnen, die sich ihre Fahrtkosten nicht erstatten lassen. Das ist nicht nur aus eigener finanzieller Sicht dumm, da es unterm Strich die Gage mindert, sondern führt auch dazu, dass es selbstverständlich wird, wenn MusikerInnen quer durch die Republik zur Mucke fahren. Lange Transportwege sind aber ökologisch eine Katastrophe, nicht nur bei Berufspendlern, sondern beispielsweise auch bei Lebensmitteln. Wollen wir den Klimawandel stoppen, müssen wir wieder stärker auf regionale Produkte und Dienstleistungen setzen. Auf uns MusikerInnen bezogen lässt sich das zum Beispiel dadurch erreichen, dass es sich für Veranstalter nicht mehr lohnt, jemanden aus Hamburg für ein Konzert in München zu engagieren, weil die Fahrtkosten zu hoch sind.
Natürlich ist hier auch die Politik gefragt, die zum Beispiel das Benzin durch eine CO2-Steuer teurer machen könnte. Aber auch wir müssten dann dementsprechend höhere Fahrtkosten verlangen. Das würde nicht bedeuten, dass man keine Mucken mehr spielen kann, die weiter entfernt sind, aber es würde verdeutlichen: Lange Fahrten haben ihren Preis – sowohl finanziell als auch ökologisch.
4. Verzichtet auf Flugreisen und ruft andere dazu auf, es Euch gleich zu tun
Ein weiterer Punkt sind die vielen Konzertreisen, die sowohl Orchester als auch einzelne MusikerInnen unternehmen. Nicht selten werden diese Reisen per Flugzeug absolviert. Hier wäre es vor allem die Verantwortung der Orchester, auf solche Reisen zu verzichten. Das wäre natürlich erst einmal schade, weil man so den internationalen kulturellen Austausch behindern würde. Doch auch hier wird der Markt sich irgendwann selbst regulieren und vermehrt regionale Angebote schaffen, wenn die internationalen nicht mehr so leicht verfügbar sind. Wenn Ihr in einem Orchester fest angestellt seid, könnt Ihr das Thema ja einmal ansprechen.
Es gibt MusikerInnen, die hier mit guten Beispiel vorangehen: Die Sopranistin Malena Ernman, Mutter von Klimaaktivistin Greta Thunberg, nimmt keine Engagements mehr an, die nicht per Zug zu erreichen sind. Dies leistet natürlich nur einen kleinen Beitrag zum Klimaschutz, doch die Signalwirkung sollte man nicht unterschätzen. In Schweden ist die Vermeidung von Flugreisen zu einem Trend geworden, sogar der Ausdruck „Flugscham“ wurde geprägt.
Zukunftssichere Musik
Die zweite Frage nach der Rolle der klassischen Musik in der zukünftigen Gesellschaft ist schon etwas schwieriger zu beantworten. Wir möchten aber auf zwei Punkte hinweisen: Erstens wird in der Fridays-for-Future-Bewegung nicht nur für Klimaschutz gekämpft, sondern auch generell für bessere Lebens- und damit Arbeitsbedingungen. Zweitens werden momentan viele Themen, die in den letzten Jahren nicht so sehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit standen, besonders im Internet wieder kontrovers diskutiert. Dies hat sich ganz stark bei der Debatte um die Urheberrechtsreform gezeigt, wo vermutlich die meisten PolitikerInnen überrascht waren, wie viel Gegenwind eine bürokratische EU-Richtlinie hervorrufen kann. Was bedeutet das jetzt für uns Musiker?
Die Ausbeutung von Arbeitskräften wird zunehmend als nicht mehr zeitgemäß gesehen. Und da haben wir in der Musik ein riesiges Problem. Die Bezahlung von Lehrbeauftragen ist flächendeckend unterirdisch, immer mehr Musikschulen bestreiten den Unterricht größtenteils mit Honorarkräften und die Bezahlung von Aushilfen in Orchestern kratzt mancherorts an der Grenze zum Mindestlohn. Richtige Gagen, von denen man auch leben kann, gibt es eigentlich nur noch für die wenigen Stars der Szene.
Dennoch fließen jedes Jahr viele Millionen staatliche Fördergelder in den Musiksektor. Man stelle sich einmal vor, es käme zu einer grundsätzlichen Diskussion, wie ein deutlich verknappter Haushalt aussehen müsste. Wie sollten wir der Gesellschaft den Nutzen der klassische Musik erklären, wenn sie ihre eigenen Angehörigen ausbeutet und damit der Gesellschaft schadet? Wieso sollte man sie noch weiter fördern, wenn der Betrieb eigentlich nur noch mit prekär Beschäftigten aufrecht zu erhalten ist?
Wie können wir unsere Außendarstellung verbessern?
Und dass es solche Diskussionen geben wird, ist gar nicht so unwahrscheinlich. Wie schon erwähnt finden im Netz immer mehr Grundsatzdiskussionen statt, für die in den normalen Medien gar kein Platz wäre. Immer mehr vor allem junge Menschen wehren sich, zum Beispiel gegen die Bezahlung der Honorarkräfte. Wir werden wahrscheinlich früher oder später vor der Frage stehen: Wie werden wir den Musikbetrieb gestalten, wenn uns entweder weniger Gelder zur Verfügung stehen oder die Ausgaben (durch angemessene Bezahlung) steigen? Am besten wäre es natürlich, wenn wir die Antworten hätten, bevor diese Fragen gestellt werden. Denn die Nachfrage nach klassischer Musik ist nach wie vor hoch: Viele Musikschulen verzeichnen Rekorde bei den Neuanmeldungen, jedes Jahr können nur ein Bruchteil der BewerberInnen an den Musikhochschulen angenommen werden und besonders in strukturschwachen Regionen sind die Orchester fester Bestandteil der Kulturszene. Außerdem entstehen viele neue, spannende Projekte, beispielsweise zur Integration von Flüchtlingen.
Egal ob es um Kinderarbeit in den Kobaltminen Afrikas geht, um die Abholzung des Regenwaldes für Palmölplantagen oder „nur“ um schlecht bezahlte MusiklehrerInnen: Die Gesellschaft der Zukunft wird eventuell keine so große Toleranz mehr für Ungerechtigkeit haben. Wir MusikerInnen sind nicht besonders gut darin, strukturelle Veränderungen selbst vorzunehmen, das haben nicht zuletzt die Vorfälle rund um den ehemaligen Präsidenten Siegfried Mauser an der Musikhochschule in München gezeigt. Genau das müssen wir aber, sonst werden andere dies für uns tun.
In der Debatte um die Urheberrechtsreform haben viele MusikerInnen sich auf die Position versteift, alle KritikerInnen hätten ja keine Ahnung und seien gehirngewaschen worden. Unabhängig davon, ob sie damit recht hatten: Wenn wir diese Haltung auch auf eine eventuelle Grundsatzdiskussion über Sinn und Unsinn der klassischen Musik anwenden werden, kann sich jeder selbst vorstellen, wie diese Diskussion ausgehen wird. Aber man stelle sich mal vor, wie wir dastehen würden, wenn wir sagen könnten:
„Wir, die klassischen MusikerInnen, leisten einen wertvollen Beitrag zur kulturellen Vielfalt unserer Gesellschaft. Um dies zu gewährleisten, stellen wir uns selbst und unsere Strukturen immer wieder in Frage, um Verbesserungen, von denen alle profitieren, zeitnah durchzusetzen. Dafür schrecken wir auch nicht vor unangenehmen Fragen zurück, die die Machtpositionen Einzelner angreifen. Wir sorgen dafür, dass der Arbeitsmarkt transparent und fair ist, damit auch BerufsanfängerInnen eine gute Chance auf einen angemessenen Lebensunterhalt haben. Wir sichern nicht nur den Wohlstand einiger weniger auf Kosten aller ab, sondern sorgen uns um zukünftige Generationen. Wir laden diese Generationen dazu ein, an unseren Musikschulen und Musikhochschulen die Schönheit und Komplexität der klassischen Musik zu erlernen. Dort werden sie von kompetentem Lehrpersonal mit zeitgemäßer Pädagogik unterrichtet, um zu gebildeten und ausgeglichenen Menschen zu werden. Wir sind dankbar für die Fördermittel, die uns dafür zur Verfügung gestellt werden. Wir gehen mit diesen Geldern verantwortungsbewusst um, weil wir wissen, dass wir ohne diese Mittel in großen Teilen nicht existieren könnten.“
Oder noch besser: Wenn wir das nicht nur sagen, sondern auch machen würden.