Mit dem heutigen Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) findet der Fall Siegfried Mauser endlich einen Abschluss. Das Gericht bestätigte die Sichtweise des Landgerichts; es habe „alle Aspekte erschöpfend und rechtsfehlerfrei bewertet“. Es gibt nun keine zwei Meinungen mehr: Der ehemalige Präsident der Musikhochschule München ist ein Sexualstraftäter und muss wegen seiner Taten für zwei Jahre und neun Monate ins Gefängnis. Mit dem Gang vor den BGH haben Mauser und seine Anwälte alle juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft, das Urteil ist damit rechtskräftig.
Wie geht es für Siegfried Mauser weiter?
Auch wir möchten den Fall Mauser nun hinter uns lassen, und zwar aus zwei Gründen: Erstens liegt uns nichts an irgendeiner Form des Voyeurismus’, sei es in Bezug auf die sicherlich starke persönliche Belastung Mausers, aber auch in Bezug auf die weiteren Ereignisse in seinem Leben. Wann Mauser beispielsweise seine Haftstrafe antreten muss und wie genau diese sich gestalten wird, ist natürlich noch offen und für uns von wenig Interesse.
Zweitens wollten wir auf diesem Blog von Anfang an die Perspektive der Betroffenen in den Fokus rücken – besonders, da wir der Meinung sind, dass die Debatte über Machtmissbrauch an Musikhochschulen bisher von einigen wenigen „von oben herab“ geführt wurde. Wie geht es aber denen, die tagtäglich in ihrem persönlichen und beruflichen Umfeld mit traumatischen Erlebnissen kämpfen, ja, ihren Beruf deshalb womöglich gar nicht mehr ausüben können? Dieser Frage werden wir auch in Zukunft nachgehen. Tätern wie Siegfried Mauser möchten wir hier keine größere Plattform mehr bieten.
Trotzdem verspüren wir keine Genugtuung über das Urteil. Nach allem, was wir bisher von Betroffenen gehört haben, spielt es kaum eine Rolle, ob ein(e) TäterIn letztendlich im Gefängnis landet. Viel wichtiger ist die Feststellung, dass die Ereignisse genauso stattgefunden haben. Allein die öffentliche Anerkennung, dass ihr Leid real und begründet war und ist, bedeutet den Betroffenen sehr viel.
Was ist mit denen, die weggesehen haben?
Alle diejenigen, die zu Mauser gehalten haben oder es immer noch tun, müssen nun damit leben, dass sie sich auf die Seite eines Sexualstraftäters geschlagen haben. Ob sie seine Taten verharmlost, gedeckt oder verschwiegen haben, wird man wahrscheinlich nicht mehr feststellen können. Aber sie selbst werden es wissen und ihr eigenes Handeln mit ihrem Gewissen vereinbaren müssen.
Man kann nur hoffen, dass in Zukunft mehr Menschen an Musikhochschulen und insgesamt in der Welt der klassischen Musik für den Umgang mit Machtmissbrauch sensibilisiert sind. Das alte Schema „Alle wissen es, aber keiner sagt etwas“ ist nicht mehr zeitgemäß. Wenn die Musikhochschulen weiter an diesem Prinzip festhalten, werden sie den Anschluss an die moderne Gesellschaft verlieren. Alle MusikerInnen müssen sich dafür einsetzen, dass der Begriff „Klassische Musik“ nicht zum Anachronismus wird. Doch um dieses Schema zu durchbrechen, braucht es Mutige, die bereit sind, Missstände anzusprechen, auch wenn sie damit ihre Karriere oder ihre Position riskieren.
Was ist mit den Betroffenen?
Wir möchten uns an dieser Stelle ganz herzlich bei denen bedanken, die nach ihren traumatischen Erlebnissen den Mut und die Kraft gefunden haben, die anstrengenden Prozesse zu überstehen. Sie haben dadurch ein Zeichen gegen sexuelle Gewalt und gegen Machtmissbrauch gesetzt. Ihr Handeln hat dazu geführt, dass die Klassische-Musik-Szene einiges hinterfragen muss, was bisher selbstverständlich schien.
Aber nicht nur in München gibt es Machtmissbrauch. Wir würden uns wünschen, dass sich noch mehr von Machtmissbrauch Betroffene melden und ihre Geschichte an die Öffentlichkeit bringen. Kleinere Veränderungen des Klimas machen sich schon bemerkbar, aber es gibt noch viel zu tun! Nach wie vor sitzen Personen in Führungspositionen, unterrichten als ProfessorIn oder leiten Orchester als DirigentInnen, die sich zum Teil schwerwiegender Vergehen schuldig gemacht haben. Durch die Erfahrungsberichte, die uns erreicht haben, können wir sagen, dass es alles gibt: Von sexuellen Übergriffen über Gewalt bis hin zu Psychoterror. Das können wir MusikerInnen doch nicht so stehen lassen! Helft uns, damit das Thema, nachdem die Aufregung um den Fall Mauser abgeklungen ist, nicht wieder in der Versenkung verschwindet!