Zu Beginn der Prozesse bat Siegfried Mauser, man möge ihn bitte nicht zum „Harvey Weinstein der Musikszene“ machen. Heute, Anfang 2020, sind die Mauser-Prozesse abgeschlossen, während der Weinstein-Prozess grade erst begonnen hat. Die Geschichten der Frauen, die vor etwa drei Jahren den amerikanischen Filmproduzenten schwerer Sexualstraftaten bezichtigt hatten, hatten eine weltweite Solidaritätswelle ausgelöst. Unter dem Hashtag #metoo erzählten zahllose Frauen (und auch einige Männer und Transgender) von ähnlichen Erlebnissen. In der Folge wurden viele Fälle von sexuellem Missbrauch öffentlich, die auch einige prominente Persönlichkeiten die Karriere kosteten. Juristisch belangt wurden allerdings wenige: Entweder waren die Taten bereits verjährt oder die Opfer scheuten einen kraftraubenden und langwierigen Gerichtsprozess.

Trotzdem sind wir der Meinung, dass die #metoo-Bewegung viel Positives bewirkt hat und noch bewirken wird: Viele Frauen haben durch ihren Mut deutlich gemacht, dass der „normale“ Umgangston mit ihnen viel zu oft von Respektlosigkeit und Macho-Gehabe geprägt ist; die Gesellschaft wurde dafür sensibilisiert, dass Frauen eben kein „Freiwild“ sind. Darüber hinaus wurde klar, dass viele Institutionen nicht über ausreichende Mechanismen verfügen, die Macht- und damit oft sexuellen Missbrauch verhindern oder aufdecken könnten.

Beginn des Prozesses gegen Harvey Weinstein

Harvey Weinstein (2011)

Im Januar 2020 hat in New York der Prozess gegen Harvey Weinstein begonnen. Das amerikanische Rechtssystem unterscheidet sich zwar grundlegend vom deutschen, doch sind die Parallelen zum Fall Mauser auffällig. Auch Weinstein setzt auf eine konfrontative Verteidigung, streitet alle Vorwürfe ab und nutzt ganz offen das sogenannte victim blaming. Bei dieser Verteidigungsstrategie wird versucht, dem Opfer des Übergriffs die Schuld zuzuschieben. Dazu werden gerne Argumente genutzt, die eigentlich sowohl von Psychologen schon längst widerlegt wurden, als auch mit ein wenig Menschenkenntnis und Sachverstand zu durchschauen sind. Warum suchte das Opfer auch nach der mutmaßlichen Tat noch Kontakt zum Täter? Warum hatte sie auch einvernehmlichen Sex mit ihm? Warum wehrte sie sich nicht? Und natürlich der Klassiker: Warum kleidete sie sich so sexy, wenn sie keinen Sex wollte?

Auf ähnliche Argumente griffen Siegfried Mausers Anwälte zurück. Sie versuchten allerdings – vergeblich – Berufs-RichterInnen zu überzeugen, was ungleich schwerer gewesen sein dürfte, als zwölf Geschworene, die nicht Jura studiert haben. In amerikanischen Gerichtsprozessen geht es daher oft nicht so sehr um Fakten und Details, sondern darum, wer vor Gericht die bessere Figur abgibt. Hier sei an den berühmten Mordprozess gegen O.J. Simpson Anfang der 90er-Jahre erinnert, bei dem die Anprobe eines Handschuhs, der dem Angeklagten offensichtlich zu klein war, mehr Eindruck auf die Jury machte, als unzählige belastende Indizien. Simpson wurde damals im Strafprozess freigesprochen – nicht so allerdings im Zivilprozess! –, was heute vielen als Justizfehler gilt. Auch der Ausgang des Weinstein-Prozesses ist daher völlig offen.

Unabhängig vom Urteil zeigt der Fall Weinstein ein Problem auf, das in vielen Bereichen der Gesellschaft existiert: In Abhängigkeitsverhältnissen kommt es leicht zu Machtmissbrauch; die TäterInnen haben kaum Konsequenzen zu befürchten, während die Opfer nur geringe Chancen haben, für erlittenes Unrecht Anerkennung oder gar Gerechtigkeit zu erfahren. Manche Institutionen haben dies bereits erkannt und wie die Musikhochschule München erste Schritte eingeleitet, die Abhilfe schaffen sollen. Doch diese Entwicklung steht erst ganz am Anfang und wird eine große gesellschaftliche Aufgabe für die Zukunft bleiben. Jeder und jede Einzelne sollte sich überlegen, was er oder sie dazu beitragen kann.

Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung über den Weinstein-Prozess:
Zwischen Mitleid und Erniedrigung (01.02.2020)
„Ich bin davon ausgegangen, dass sich ein älterer Mann kontrollieren kann“ (28.01.2020)
Eine Zeugin, die am liebsten verschwinden würde (27.01.2020)
Der Mann, der an die Tür klopfte (23.01.2020)
Die Antiheldin im Weinstein-Prozess (22.01.2020)

Offener Brief an die Festspiele Erl

Bereits im November 2019 veröffentlichte art but fair einen offenen Brief an den Stiftungsvorstand der Tiroler Festspiele Erl, in dem sie den Umgang mit den Missbrauchsvorwürfen gegen den langjährigen künstlerischen Leiter Gustav Kuhn scharf kritisierte. Auch wir hatten auf unserem Blog über den Fall berichtet. Der Brief ist eine Reaktion auf die Pressemitteilung des Stiftungsvorstandes vom 15.11.2019, in dem unter anderem erklärt wurde, der Vorstand habe „umgehend auf eine lückenlose Aufklärung hingearbeitet.“ art but fair widerspricht dem heftig:

„Schon der erste Satz Ihrer Pressemitteilung vom 15.11.2019 ist eine Verhöhnung nicht nur der Wahrheit, sondern der betroffenen Damen und Herren, die jahrelang unter Herrn Kuhn und seinem Team in Erl leiden mussten. […] Sie, werte Dame und werte Herren haben weder »wesentliche Schritte gesetzt« noch haben Sie Ihre »Verantwortung sehr ernst genommen«. Sie haben mit Nichten »unmittelbar reagiert«. Im Gegenteil: Sie haben investigativen Journalismus gerichtlich bekämpft und auf die Anzeige von art but fair international abgestritten, verschleiert und unendlich verzögert! Keine der im Raum stehenden Anschuldigungen haben Sie ernst genommen und Sie haben alles dafür getan, die Glaubwürdigkeit der Betroffenen zu beschädigen.“

Wir haben den gesamten Brief unten abgedruckt. Auch dieser Fall ist ein Paradebeispiel dafür, wie durch einseitige Machtverhältnisse in Institutionen Missbrauch Tür und Tor geöffnet wird, und wie schwer sich diese Institutionen mit der Aufklärung tun. Wir wünschen den Opfern auch hier, dass sie irgendwann Gerechtigkeit erfahren und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

Prozess gegen Hans-Jürgen von Bose

Hans-Jürgen von Bose (2005)

Bei den ganzen Prozessen gegen Siegfried Mauser und seiner Dauerpräsenz in den Medien ist es etwas in den Hintergrund geraten, dass mit dem Komponisten Hans-Jürgen von Bose auch noch einem zweiten ehemaligen Professor der Musikhochschule München Sexualstraftaten zur Last gelegt werden. Die Vorwürfe wiegen bei ihm schwerer als bei Siegfried Mauser; es geht um Vergewaltigung in mehreren Fällen. Der Prozess wird dieses Jahr stattfinden.

Anders als Mauser verzichtete Bose bisher auf eine groß angelegte Medienkampagne und sprach nur ein einziges Mal mit dem SPIEGEL. Welche Verteidigungsstrategie er wählen wird, bleibt abzuwarten. Doch man kann vermuten, dass auch dieser Prozess für die Opfer nicht leicht werden wird. Wir hoffen, dass er wenigstens auf solche Attacken auf die Opfer verzichtet, wie sie Mausers Anwälte getätigt haben.

Berichterstattung zum Fall Bose:
Pornos zum Lockerwerden (Deutschlandfunk Kultur, 11.05.2018)
Sex im Präsidentenbüro (SPIEGEL, 11.05.2018)

Siegfried Mauser tritt Haftstrafe nicht an

Und zum Schluss noch die letzten Neuigkeiten zum Fall Mauser: Eigentlich hätte er schon längst seine Haftstrafe antreten müssen, doch der ehemalige Präsident der HMT München und des Salzburger Mozarteums hat die in der ihm zugestellten Haftladung genannte Frist verstreichen lassen. Nach Aussage seines Anwalts hält er sich an seinem Wohnsitz in Österreich auf und habe die Haftladung nicht erhalten. Nun droht ihm ein europäischer Haftbefehl samt Auslieferungsantrag. Dies versucht Mauser offenbar, mit juristischen Winkelzügen zu verhindern: Seine Anwälte haben wie angekündigt Verfassungsbeschwerde eingelegt und fordern von der Staatsanwaltschaft München, sie möge den Haftantritt bis zur Entscheidung aufschieben.

Das Bild von Siegfried Mauser wurde leider aufgrund einer mutmaßlichen Urheberrechtsverletzung auf Wikipedia gelöscht.

Die letzten Wochen ließ Mauser aber nicht ungenutzt verstreichen und gab ein Interview in der WELT, in dem er erneut seine – mehrfach vor Gericht widerlegte – Version der Geschichte erzählte. Dabei spielte er wieder einmal die Geschehnisse herunter und verunglimpfte die Opfer. Während er im Interview immer wieder von „drei Küssen“ sprach, stuften die Gerichte in Wahrheit seine Handlungen als sexuelle Nötigung ein. In einem weiteren Fall zweifelte das Gericht laut Süddeutscher Zeitung „zwar nicht an der Vergewaltigung des Opfers, nach damaligem Sexualstrafrecht allerdings hätte sich die Frau zur Wehr setzen müssen.“ Wir stehen mit einigen der Nebenklägerinnen in Kontakt und können versichern, dass solche Zeitungsartikel extrem belastend für sie sind. Warum die WELT und die Autorin des Artikels, Gisela Friedrichsen, sich für so eine Berichterstattung hergeben, ist für uns völlig unverständlich.

Wir sind keine Juristen und können daher nicht abschließend bewerten, ob die Dinge bezüglich Haftladung und Verfassungsbeschwerde wirklich so liegen, wie von Mausers Anwälten dargestellt. Nach unseren Recherchen hat eine Verfassungsbeschwerde nur eine statistische Erfolgsaussicht von 1-2 %, das Einlegen einer solchen bedeutet auch keinen Haftaufschub. Die Auslieferung Mausers dürfte ebenfalls nur Formsache sein; bei einem europäischen Haftbefehl prüft das Auslieferungsland die Verurteilung in der Regel nicht mehr extra. Mausers Anwälte haben angekündigt, den Haftaufschub notfalls beim Verfassungsgericht zu beantragen, vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen, eine Petition an den bayerischen Landtag zu richten und ein Gnadengesuch beim Justizministerium zu stellen.

War Mausers Verteidigungsstrategie bisher wenigstens von einer klaren Linie geprägt, erscheinen uns diese neuesten Eskapaden nur noch als trotzige Akte der Verzweiflung. Respekt vor dem Rechtsstaat, den er immer wieder betonte, können wir bei so einer „Flucht“ ins Ausland beim besten Willen nicht mehr erkennen, geschweige denn Respekt vor den Opfern. Den Kredit, den er vielleicht bei manchen noch hatte, verspielt er unserer Meinung nach so vollends. Eine Wiederaufnahme seiner Karriere nach der Haftstrafe erscheint uns fast unmöglich. Doch das schlimmste ist, dass er auch seinen Opfern eine Rückkehr in ihr normales Leben verhindert, weil sie sich noch Jahre nach seinen Taten und Monate nach den Urteilssprüchen immer wieder mit dem Erlebten und seiner Person auseinandersetzen müssen. Im Sinne der mutigen Frauen, die es gewagt haben, ihre Stimmen gegen Mauser zu erheben, wünschen wir uns, dass diese Posse endlich ein Ende nimmt und Mauser sich seiner Haftstrafe und damit auch seiner Verantwortung stellt.

Berichterstattung zum Fall Mauser:
Siegfried Mauser drückt sich vor Haftstrafe (Süddeutsche Zeitung, 28.01.2020)
Die Frau als „grenzdebiles Dummchen“ (WELT, 14.01.2020)
„Dann werde ich halt dafür büßen“ (WELT, 12.12.2019)

Laura & Daniel

Bildquellen:
„Harvey Weinstein (2011)“: Quelle, Autor: David Shankbone, Lizenz: Creative Commons-Lizenz Attribution 3.0 Unported
„Hans-Jürgen von Bose (2005)“: Quelle, Autor: Hasfurth, Lizenz: public domain

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