In unseren Beiträgen bemängeln wir oft, dass von Studierenden an deutschen Musikhochschulen zu wenig Eigeninitiative beim Thema «Bekämpfung von Machtmissbrauch» ausgeht. Daher freut es uns umso mehr, dass sich an der HfMT Hamburg vor kurzem das Awareness-Team gebildet hat. Wir haben die Mitglieder gefragt, ob wir die Gruppe und ihre Ziele auf unserem Blog vorstellen dürfen. Viel Spaß beim Lesen!
Wie viel ist zu viel? Der Professor redet lange über vergangene Zeiten. Zu lange? Er erzählt von den eigenen Liebschaften. Zu intim? Irgendwann schickt er Nachrichten, auch private. Weiter passiert nichts; es bleibt nur ein ungutes Gefühl zurück, das man nicht genau in Worte fassen kann. An anderer Stelle – im szenischen Unterricht – wird man aufgefordert, sich freizügiger zu kleiden. Beim ersten Mal anfassen wird man noch gefragt, danach nicht mehr. Man fühlt sich in der Probe bloßgestellt, die Kommiliton*innen sehen schließlich alle zu. Niemand sagt etwas, allen sind gewisse Drohungen noch im Gedächtnis. Wer Kritik äußert, ist schwach, wird einem zu verstehen gegeben. Also sagt man auch nichts und macht mit. Jede*r weiß, was eine Vergewaltigung ist und jede*r weiß, was Freundschaft ist. Doch dazwischen ist ein großer Graubereich. „Man hat weder die Worte noch die Ansprechperson, um unangenehme Themen anzusprechen“, sagt ein Mitglied des Awareness-Teams, das sich an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg gebildet hat. Genau das wollen sie ändern: Die Studierenden wollen Dinge ansprechen, auf Missstände aufmerksam machen und vor allem den übrigen Studierenden einen Safespace bieten, in dem man ungestraft Kritik äußern darf. «Das Awareness-Team verfolgt das Ziel, Bewusstsein für Diskriminierung zu schaffen, Opfer und potenzielle Opfer zu unterstützen und strukturelle Probleme anzugehen und im besten Fall zu beseitigen.» heißt es in der Satzung, die sie sich selbst gegeben haben.
Schockiert über den SPIEGEL-Artikel
Es ist schwierig zu sagen, wann genau die Idee entstand, sich systematisch gegen Machtmissbrauch zu organisieren und studentisch zusammenzuschließen, denn die Missstände an der Hochschule waren – wie so oft – im Prinzip jedem bekannt, ohne dass Hamburg im Vergleich zu anderen Musikhochschulen besonders negativ herausragte. „Das Bedürfnis, etwas zu ändern und Solidarität in der Gemeinschaft zu schaffen, war für uns immer da“, berichtet uns das Team. Ein Schlüsselereignis war der Zeitungsartikel im SPIEGEL aus dem April 2019, in dem die Pianistin Shoko Kuroe von einem sexuellen Übergriff im Rahmen ihres Studiums vor etwa 25 Jahren berichtete.[1]Matthias Bartsch, Martin Knobbe und Jan-Philipp Möller: „Gefährliche Nähe“, veröffentlicht am 27.04.2019 in DER SPIEGEL (Online-Version: Seine Erwartungen – “reden, trinken, vögeln”, veröffentlicht am 26.04.2019 auf spiegel.de) „Viele Studierende waren schockiert, dass so etwas an unserer Hochschule passiert war.“ Der Hochschulpräsident, Prof. Elmar Lampson, veröffentlichte auf der Internetpräsenz der HfMT Hamburg eine Stellungnahme[2]Stellungnahme des Hochschulpräsidenten Prof. Elmar Lampson zum Spiegel-Artikel vom 27. April 2019, veröffentlicht am 02.05.2019 auf hfmt-hamburg.de, in der er auf den Artikel einging. Er schrieb: „Der Gedanke an eine Alumna unseres Hauses als Opfer sexueller Übergriffe macht mich traurig und wütend zugleich.“ Dennoch fände er es „schrecklich, dass nun Professoren aus dieser Zeit unter Generalverdacht stehen.“ Im weiteren führte er die Maßnahmen und Gremien an, die Missbrauch an der Hochschule verhindern sollten. Das Statement schloss mit der Aussage, dass „in einer Atmosphäre der Offenheit und des kollegialen Vertrauens sexuelle Übergriffe, Gewalt, Nötigungen und Diskriminierungen in unserer Hochschule keine Chance haben werden.“
„Keine Chance“ für Missbrauch?
Professoren unter „Generalverdacht“? „Keine Chance“ für Missbrauch? Bei nicht wenigen Studierenden sorgten diese Aussagen für Unmut, suggerierten sie doch, dass man solche Zustände lange hinter sich gelassen hätte. „Dieses «Heute kann so was ja nicht mehr passieren» stand im starken Gegensatz zu dem, was wir aus unserem Studium kannten“, sagt das Awareness-Team. „Das wollten wir so nicht stehen lassen.“ Die Befürchtung, dass Machtmissbrauch auch heute noch zum Hochschulalltag gehört, bewahrheitete sich schnell. Bei der renommierten Sommeroper gab es 2019 Vorfälle, auf die die Studierenden bei der Premiere per Flugblatt hinwiesen. Beim Schauspiel-Vorsprechen für das neue Semester hatten Studierende einen Stand aufgebaut, den sie „Awareness-Couch“ nannten, gewissermaßen als Gegenentwurf zur berühmt-berüchtigten „Besetzungscouch[3]vgl. Wikipedia-Eintrag „Besetzungscouch“:«Besetzungscouch oder auch Casting Couch ist die euphemistische Umschreibung des Phänomens, dass die Verantwortlichen für die Rollenbesetzung im Theater, Opernhäusern, der Filmindustrie oder auch im Musikgeschäft von Bewerberinnen oder Bewerbern intime Handlungen als Gegenleistung verlangen oder angeboten bekommen.»“. Dorthin konnten sich Bewerber*innen wenden, wenn ihnen im Vorsprechen etwas komisch vorgekommen war. „Diese Aktion sollte zeigen, dass es von Anfang an im Studium um Solidarität geht. Es sollte Präsenz gegen Machtmissbrauch gezeigt werden“, erzählt uns das Team. „Nur wenn man das Gefühl hat, dass Leute hinter einem stehen, hat man den Mut, sich zu äußern.“ Auch in anderen Studiengängen gab es Probleme mit Lehrkräften, die vor allem verbal Grenzen überschritten, Körper und Aussehen bewerteten.
Nähe und Distanz
Ein Schritt, um auf diese Vorkommnisse aufmerksam zu machen, war die Gründung des Awareness-Teams während eines studentischen Aktionstags im Wintersemester 2020/21, wo in einer „Zukunftswerkstatt“ mögliche Auswege für Probleme an der Hochschule gesucht werden sollten. Die Arbeitsgruppe, die sich mit den Themen Diversität und Awareness auseinandersetzte, beschloss kurzerhand, das Awareness-Team zu gründen. Als sich das Team bald darauf mit den Gleichstellungsbeauftragten austauschte, kam die Sache so richtig ins Rollen. Unter dem Arbeitstitel „Nähe und Distanz“ kamen plötzlich alle relevanten Gremien zusammen. Bei diesen „Vernetzungstreffen“ rannte man offene Türen ein, berichtet uns das Team: „Wir hatten das Gefühl, dass viele Hochschulvertreter*innen regelrecht dankbar waren, dass endlich etwas passiert. Viele Probleme – zum Beispiel mit manchen Lehrkräften – waren natürlich bekannt, aber wenn sich niemand beschwert, kann die Hochschule auch nicht tätig werden.“ Aus diesen Treffen entstanden viele Ideen für zukünftige Projekte und Aktionen, unter anderem wurde eine Vortragsreihe über diverse Diskriminierungspraxen ins Leben gerufen. Den Auftakt zu dieser Reihe machte am 24.02.2021 die Theaterwissenschaftlerin Ass.-Prof. Dr. Anke Charton[4]Mehr Informationen über Anke Charton findet man unter https://homepage.univie.ac.at/anke.charton/ mit dem Zoom-Vortrag „Es schadet sonst deiner Karriere“: Macht und Missbrauch im Klassikbetrieb. „Das Feedback war durchweg positiv. Zeitweise haben über 70 Teilnehmende den Vortrag verfolgt“, sagt das Team.
Weitere Vorträge geplant
In den nächsten Monaten sind weitere Vorträge geplant, die dann auch öffentlich zugänglich sein sollen. Am 21.04.2021 soll es mit dem Thema Rassismus weitergehen, am 19.05.2021 folgt ein Vortrag über Queerness[5]vgl. Wikipedia-Artikel „Queer-Theorie“: «Die Queer-Theorie (englisch queer theory) ist eine seit Anfang der 1990er Jahre in den USA entwickelte Kulturtheorie, die den Zusammenhang von biologischem Geschlecht (englisch sex), sozialem Geschlecht (englisch gender) und sexuellem Begehren (englisch desire) kritisch untersucht.». Am 16.06.2021 wird es um Klassismus[6]vgl. Wikipedia-Artikel „Klassismus“: «Klassismus bezeichnet Vorurteile oder Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft oder der sozialen Position und richtet sich überwiegend gegen Angehörige einer „niedrigeren“ sozialen Klasse.», Ableismus[7]vgl. Wikipedia-Artikel „Ableism“:«Der Begriff Ableismus bezeichnet die Beurteilung von Menschen anhand ihrer Fähigkeiten und wird als behindertenfeindlich angesehen.» und Barrierefreiheit[8]vgl. Wikipedia-Artikel „Barrierefreiheit“:«Barrierefreiheit bezeichnet eine Gestaltung der Umwelt, sodass sie auch von Menschen mit Beeinträchtigungen ohne zusätzliche Hilfen genutzt und wahrgenommen werden kann.» gehen, bevor am 14.07.2021 eine abschließende Diskussion mit der Entwicklung von Lösungsansätzen erfolgen soll. Und es gibt weitere Pläne für die Zukunft: „Wir wollen Workshops zu verschiedenen Themen anbieten, beispielsweise über die (juristischen) Rechte der Studierenden. Auf der Hochschulhomepage wird es eine Unterseite des Awareness-Teams geben, die als dauerhafte Anlaufstelle für Studierende dienen soll.“ Ein ganz wichtiges Projekt soll der „Awareness-Space“ werden. „Bald ziehen das Institut für Kulturmanagement und die Theaterakademie in ein neues Gebäude um. Dort ist bereits ein fester Standort im studentischen Aufenthaltsbereich für uns eingeplant. Der Awareness-Space soll eine niedrigschwellige Anlaufstelle von Studierenden für Studierende sein. Es wird dort ein Bücherregal mit Literatur zum Thema geben, für Sitzungen und vertrauliche Gespräche ist es möglich, sich in den daneben liegenden Arbeitsraum zurückzuziehen.“ Viele Mitglieder des Teams haben selbst diese Ohnmacht erlebt, wenn es keinen Ort gibt, an dem man äußern kann, was nicht in Ordnung ist. „Viele Situationen können unangenehm sein, ohne dass man das sofort benennen kann. Hier soll der Awareness-Space eine Unterstützung sein.“
Anlaufstellen müssen zu den Menschen passen
In ihrem Vortrag fragt Anke Charton: „Passen die Anlaufstellen, die ich habe, zu den Menschen an meiner Institution? In welcher Sprache und in welchen Sprachen treten sie auf? Auf welche Weise gehören die Menschen, die ich dort als Betroffene treffe, in das System, indem wir uns alle bewegen?“[9]Ass.-Prof. Dr. Anke Charton: „Es schadet sonst deiner Karriere“: Macht und Missbrauch im Klassikbetrieb, Online-Vortrag vom 24.02.2021 Das Awareness-Team passt offensichtlich zu den Menschen in der Hochschule, weil Studierende hier von Problemen berichten können, ohne dass die Hochschule direkt involviert ist. Es ist eine wichtige Ergänzung zu den bereits existierenden Anlaufstellen wie der Gleichstellungsbeautragten oder dem Vertrauensrat. Allerdings gibt es natürlich auch noch Probleme, die man in der Zukunft angehen muss. Zum jetzigen Zeitpunkt sind im Team beispielsweise die Instrumental- und Vokalstudiengänge noch unterrepräsentiert. „Wir werden weiter versuchen, in diesen Bereichen Überzeugungsarbeit zu leisten. Das Awareness-Team soll noch diverser werden“, sagt ein Team-Mitglied. Uns zumindest hat das Team schon überzeugt! Wir sind der Meinung, dass die Initiative in Hamburg ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Machtmissbrauch und Diskriminierung an Musik- und Theaterhochschulen ist und hoffen, dass andere Hochschulen – bzw. deren Studierende – diesem Beispiel folgen werden. So wird eines Tages auch erreicht werden, was das Awareness-Team sich als langfristiges Ziel gesetzt hat: „Die Abschaffung von uns selbst!“ Es wäre schön, wenn wir irgendwann keine Awareness-Teams und Safespaces mehr bräuchten. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg.
Laura & Daniel,
mit freundlicher Unterstützung des Awareness-Teams der HfMT Hamburg
Bildquellen:
Beitragsbild: Quelle, Autor: Staro1, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported
Quellen und Anmerkungen
↑1 | Matthias Bartsch, Martin Knobbe und Jan-Philipp Möller: „Gefährliche Nähe“, veröffentlicht am 27.04.2019 in DER SPIEGEL (Online-Version: Seine Erwartungen – “reden, trinken, vögeln”, veröffentlicht am 26.04.2019 auf spiegel.de) |
---|---|
↑2 | Stellungnahme des Hochschulpräsidenten Prof. Elmar Lampson zum Spiegel-Artikel vom 27. April 2019, veröffentlicht am 02.05.2019 auf hfmt-hamburg.de |
↑3 | vgl. Wikipedia-Eintrag „Besetzungscouch“:«Besetzungscouch oder auch Casting Couch ist die euphemistische Umschreibung des Phänomens, dass die Verantwortlichen für die Rollenbesetzung im Theater, Opernhäusern, der Filmindustrie oder auch im Musikgeschäft von Bewerberinnen oder Bewerbern intime Handlungen als Gegenleistung verlangen oder angeboten bekommen.» |
↑4 | Mehr Informationen über Anke Charton findet man unter https://homepage.univie.ac.at/anke.charton/ |
↑5 | vgl. Wikipedia-Artikel „Queer-Theorie“: «Die Queer-Theorie (englisch queer theory) ist eine seit Anfang der 1990er Jahre in den USA entwickelte Kulturtheorie, die den Zusammenhang von biologischem Geschlecht (englisch sex), sozialem Geschlecht (englisch gender) und sexuellem Begehren (englisch desire) kritisch untersucht.» |
↑6 | vgl. Wikipedia-Artikel „Klassismus“: «Klassismus bezeichnet Vorurteile oder Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft oder der sozialen Position und richtet sich überwiegend gegen Angehörige einer „niedrigeren“ sozialen Klasse.» |
↑7 | vgl. Wikipedia-Artikel „Ableism“:«Der Begriff Ableismus bezeichnet die Beurteilung von Menschen anhand ihrer Fähigkeiten und wird als behindertenfeindlich angesehen.» |
↑8 | vgl. Wikipedia-Artikel „Barrierefreiheit“:«Barrierefreiheit bezeichnet eine Gestaltung der Umwelt, sodass sie auch von Menschen mit Beeinträchtigungen ohne zusätzliche Hilfen genutzt und wahrgenommen werden kann.» |
↑9 | Ass.-Prof. Dr. Anke Charton: „Es schadet sonst deiner Karriere“: Macht und Missbrauch im Klassikbetrieb, Online-Vortrag vom 24.02.2021 |