Im Sommer 2022 sprach das Bundessozialgericht ein wegweisendes Urteil zur Situation der freien Mitarbeitenden an Musikschulen. Laut Urteil ist eine Beschäftigung in dieser Vertragsform problematisch, da im Rahmen einer Musikschule kaum ausreichend unternehmerische Freiheit gewährleistet werden kann. Im Magazin des PRO MUSIK Verbands und in der NMZ hatten wir bereits darüber berichtet (siehe Infobox).
Unsere früheren Beiträge zum Thema:
- Podcast: Leben im Prekariat – Leben in Freiheit?
- Podcast: Selbstständig – Nur zum Schein?
- Podcast: Gespräch mit der Stadtverwaltung Sankt Augustin
- Text: Sind Honorarverträge legal?
- Text: Nach Herrenberg-Urteil: Umbruch in der Musikschullandschaft steht bevor
Die Reaktionen der Musikschulen auf das Herrenberg-Urteil sind nun breit gefächert: Während die einen mit sinnvollen Konzepten versuchen, alle Honorarkräfte fest anzustellen, stecken andere den Kopf in den Sand. „Das wird ja bestimmt noch ein paar Jahre dauern, bis sich da etwas tut“, hört man bisweilen aus dieser Richtung. Besonders Musikschulen in privater Trägerschaft haben nun ein echtes Problem. Sie können nicht einfach die Gebühren für Schüler*innen verdoppeln oder Fördermittel beantragen, um die Finanzlücke zu schließen, die eine Umstellung mit sich bringen würde. Doch abwarten und Tee trinken könnte sich als fataler Fehler herausstellen. Um das zu verstehen, muss man einen kurzen Blick in die deutsche Bürokratie werfen.
Arbeitsgericht vs. Sozialgericht
Hier also ein kurzer Exkurs: Grundsätzlich stehen jemandem, der einen Honorarvertrag unterzeichnet, zwei Klagewege offen. Er kann entweder beim Arbeitsgericht klagen, um feststellen zu lassen, dass es sich bei seinem Honorarvertrag in Wahrheit um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis gehandelt hat. Wenn er Recht bekommt, ist der Arbeitgeber verpflichtet, denjenigen fest anzustellen. Die zweite Möglichkeit besteht darin, vor einem Sozialgericht prüfen zu lassen, ob für die ausgeführte Tätigkeit Sozialabgaben hätten gezahlt werden müssen. Dies war beim Herrenberg-Urteil der Fall. Das verrückte an der Sache: Diese beiden Wege sind voneinander komplett unabhängig! Wurde von einem Sozialgericht festgestellt, dass Sozialabgaben hätten gezahlt werden müssen, wird nicht automatisch fest angestellt und umgekehrt.
Ein weiteres Missverständnis des Herrenberg-Urteils: Es handelt sich bei diesem Urteil um eine Einzelfall-Entscheidung. Es ist also nicht vergleichbar mit z.B. einem Gesetzesentwurf, der alle Honorarverträge für illegal erklärt. Würde das passieren, wären in der Tat alle Musikschulen (und sehr viele andere Arbeitgeber...) verpflichtet, sofort fest anzustellen, wenn sie sich nicht strafbar machen wollten. Aber wie gesagt: Das ist hier nicht passiert und dementsprechend sind Musikschulen erst einmal zu gar nichts verpflichtet – mit einem kleinen, aber entscheidenden Haken.
Das eigentliche Problem
Bisher konnte ein Arbeit- bzw. Auftraggeber relativ gefahrlos Honorarverträge zu teilweise äußerst ungünstigen Konditionen ausstellen. Die größte Gefahr, die drohte, war, dass oben beschriebener Fall eintrat und ein Gericht etwas an dem Vertrag auszusetzen hatte. Im Falle eines Arbeitsgerichtsurteils musste man dann eben die Kröte schlucken, jetzt einen kostspieligen Festangestellten mehr zu haben. Im Falle eines Sozialgerichtsurteils musste man maximal vier Jahre rückwirkend Sozialabgaben nachzahlen. Viele Arbeitgeber haben nach entsprechenden Urteilen die beanstandete Klausel in allen restlichen Honorarverträgen geändert, um zukünftige Klagen zu erschweren. Die Begründung, die viele Arbeitgeber benutzt haben, war folgende: Grundsätzlich sind Honorarverträge an Musikschulen ja möglich und wir waren davon ausgegangen, dass auch unser Vertrag in Ordnung ist. Und genau diese Begründung könnte nun wegfallen.
Vorsätzlicher Sozialversicherungsbetrug?
Hier kommt ein Begriff ins Spiel, bei dem jeder Arbeitgeber zusammenzuckt: Vorsatz. Wer nämlich jetzt noch Honorarverträge ausstellt und dabei die äußerst klaren Kriterien, die das Bundessozialgericht im Herrenberg-Urteil genannt hat, ignoriert, kann sich nicht mehr darauf berufen, er hätte von alldem nichts gewusst. So wird aus dem fahrlässigen (also unbeabsichtigtem) Sozialversicherungsbetrug möglicherweise ein vorsätzlicher. Die Konsequenz: Statt einer Ordnungswidrigkeit begeht der Arbeitgeber nun eine Straftat! Es ist offensichtlich, dass dies deutlich gravierendere Folgen für eine Musikschule hätte. Zum Beispiel wären beim Vorsatz eine Rückzahlung von Sozialabgaben über bis zu 30 Jahre möglich. Das ist zwar für unsere Überlegung hier nicht relevant, da diese ja nur für aktuell neu abgeschlossene Honorarverträge gilt. Es zeigt aber, von welchen Dimensionen wir hier sprechen.
Es ist begrüßenswert, wenn Musikschulen ihre Honorarkräfte jetzt fest anstellen wollen. Aber vor dem Hintergrund der oben genannten Problematik kann man davon ausgehen, dass nicht jede Musikschule diesen Weg aus reiner Barmherzigkeit gegangen ist. Nun könnte man als Musikschule natürlich versuchen, alte Honorarverträge einfach weiterlaufen zu lassen und sich im Fall der Fälle damit herauszureden, der Vertrag sei ja damals im Glauben um die Rechtmäßigkeit dieses Vertragskonstrukts entstanden. Doch hier rächt sich eine Eigenschaft des Honorarvertrags, die bisher vor allem für die Auftragnehmer*innen nachteilig war: Honorarverträge haben in der Regel eine Laufzeit von maximal einem Jahr, das heißt, sie müssen immer wieder neu abgeschlossen werden. Und ein neuer Vertragsabschluss heißt eben im Zweifelsfall auch Vorsatz!
Verbände ändern ihre Haltung
In der Vergangenheit gab es einige Verbände, die Musikschulen die Verwendung von Honorarverträgen empfohlen haben, zum Beispiel den Verband der Musikschulen (VdM). Damit sind sie natürlich bei den Kommunen und privaten Trägern offene Türen eingerannt. Kommunen sind oft verpflichtet, bei Projekten, die mit öffentlichen Geldern finanziert werden, die günstigste Variante umzusetzen und private Musikschulen versuchen, sich mit niedrigen Gebühren vom Angebot der Konkurrenz abzuheben. Nach dem Herrenberg-Urteil haben die Verbände allerdings reagiert und ihre Empfehlungen angepasst. Ver.di hat sich als Gewerkschaft naturgemäß schon immer für die Festanstellung nach TVöD ausgesprochen, aber auch der VdM rät mittlerweile zur Festanstellung („Kasseler Erklärung“). Und das aus gutem Grund: Wer jetzt noch die Verwendung von Honorarverträgen empfiehlt oder versucht, einen Honorarvertrag zu entwickeln, der doch noch legal sein könnte, könnte Gefahr laufen, zu Sozialversicherungsbetrug aufzurufen.
Natürlich ist es noch nicht klar, ob Musikschulen wirklich flächendeckend Sozialbeiträge rückwirkend erstatten müssten. Auch wissen wir nicht, ob Musikschulen vorsätzlich handeln, wenn sie jetzt noch neue Honorarverträge abschließen. Damit werden sich in der näheren Zukunft die Gerichte beschäftigen müssen – es bleibt also spannend.
Laura & Daniel
Weitere interessante Informationen gibt es hier:
3 Comments
Honorarkräfte bezahlen ja meist via KSK, in die Sozialkassen. Die eine Hälfte zahlt der freischaffende Künstler, die andere Hälfte kommt von der KSK.
Ob die 50% von der KSK kommen oder dann von der Musikschule, in der der Musiklehrer dann angestellt wäre in Zukunft, ist doch wahrscheinlich relativ egal. Außer das Gehalt/Honorar wäre dann auch ein besseres, in der Festanstellung. Als freischaffender Musiker/Lehrer bin ich natürlich auch für eine Besserstellung der Musiklehrer, aber verstehe den großen Aufschrei nicht so recht. Lieber sollte man mal an die “im August wird kein Honorar bezahlt” Regelung gehen und seit Inflation, hat sich bei mir im Honorar auch leider null geändert.
So wie es für normale Schulen gesetzt ist, dass die Lehrtätigkeit sozialversicherungspflichtig ist, war es m.E. überfällig, dass das auch für Musikschulen festgestellt wurde.
“Musikschule” kann aber ein weites Feld sein.
Wer einen Schulbetrieb organisiert und den Unterricht durch Festangestellte und Honorarkräfte erteilen lässt, kann sich nicht hinstellen und die Tätigkeit der Festangestellten für sozialversicherungspflichtig und die der Honorarkräfte für nicht sozialversicherungspflichtig erklären.
Wer aber z.B. ein Kulturzentrum mit dem Zweck der Kulturförderung betreibt, in dem er gerade nicht einen Schulbetrieb organisiert und grundsätzlich keine Lehrkräfte einstellt, sollte bei kluger Gestaltung keine Probleme haben, versicherungsfreie Tätigkeiten von freien Musikern zu begründen.
Die zweite Variante sehe ich tatsächlich als die tragfähige zukünftige Lösung für die meisten kleinen Musikschulen an.
Die Musikschule mit Festangestellten, Stundenplänen, Qualitätssicherung etc. sollte sich auf die Spitzenförderung fokussieren und dürfte nur noch ein Fall für sehr große Kommunen sein.
In der Fläche trifft die klassische Musikschule m.E. schon lange nicht mehr auf die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit und der Geldgeber, die Musik überwiegend als Hobby sehen und erwarten, dass sich Musiker (Lehrer und Jugendliche) vielfältig in das kulturelle Leben der Kommune einbringen.
In der Realität ist man/frau ja selten an nur einer Musikschule beschäftigt, um ein ausreichendes Einkommen zu haben. Ich z.B. habe zwei Anstellungen an städtischen Musikschulen (Drittelstelle und „Midi-Job“) und verdiene fast das gleiche (netto) noch mal auf Honorarbasis an einer privaten Schule. Das alles zusammenzubringen ist schon ganz schön fordernd, vor allem mit den ganzen sich zeitlich überschneidenden Zusammenhangstätigkeiten wie MS-Tage, Vorspiele, FoBis, etc.
Wenn ich mir vorstelle, dass ich demnächst eine dritte Anstellung haben sollte, wird mir ganz schwindelig… den Honorarjob konnte ich bislang gut um die Anstellungen jonglieren…