In der letzten Zeit hat sich für die Aushilfen in deutschen Profiorchestern einiges getan. Vom Streit zwischen der DOV und des DBV über die „Fair-Pay-Wochen“ bis hin zum Mindestlohn für freie MusikerInnen in Brandenburg – um da den Überblick zu behalten, fassen wir die Ereignisse in diesem Beitrag einmal ausführlich zusammen.
Darum geht es
Bereits in frühere Beiträgen waren wir auf die Situation der Orchesteraushilfen eingegangen. Wer das nochmal nachlesen möchte, kann dies hier und hier tun. Zusammengefasst geht es um folgendes: Viele Orchester in Deutschland haben nicht genügend festangestellte MusikerInnen, um jede Stelle auch im Krankheitsfall oder bei besonders groß angelegten Werken zu besetzen. Daher sind sie auf die kurzfristige Mithilfe von anderen MusikerInnen angewiesen. Dies können MusikerInnen anderer Orchester oder Freischaffende sein. Für diese MusikerInnen ist die etwas unglückliche Bezeichnung „Aushilfe“ üblich.
Früher waren diese musikalischen „Nebentätigkeiten“ die Ausnahme; die Aushilfsgagen wurden dementsprechend selten thematisiert. Doch die Orchesterlandschaft und damit der Arbeitsmarkt haben sich in den letzten Jahren dramatisch verändert: Durch Stellenkürzungen, Fusionierungen oder gar komplette Schließungen gibt es immer weniger feste Stellen. Gleichzeitig sind viele Orchester aber voll ausgelastet und spielen immer mehr Konzerte, die die Standardbesetzung überschreiten. Der Bedarf an Aushilfen ist also stark angestiegen. Es gibt immer mehr MusikerInnen, die diesen neuen Sektor des Arbeitsmarktes nutzen und sich auf Aushilfstätigkeiten spezialisiert haben.
Aushilfen sind mittlerweile fester Teil des Arbeitsmarktes
Aushilfen sind also schon lange kein Randphänomen mehr. Es gibt Orchester, die jede Aufführung mit 10-20 Aushilfen spielen. Trotzdem wurde die Bezahlung der Aushilfen lange ignoriert. Die Sätze seien Verhandlungssache zwischen jeder Aushilfe und dem Orchester, hieß es immer. Das Ergebnis war absehbar: Die Aushilfssätze wurden so lange nicht erhöht oder sogar noch gedrückt, bis sie mancherorts in keinem Verhältnis mehr zur geleisteten Arbeit standen. Aushilfen wurden letztendlich billiger als Festangestellte, was natürlich die Arbeitsmarktsituation auf den Kopf stellte. Durch ihre schwache Verhandlungsposition müssen die Aushilfen die niedrigen Gagen in der Regel akzeptieren.
Irgenwann schritt die Orchester-Gewerkschaft DOV ein und forderte feste Sätze für Aushilfen. 2004 kam es zu einer Einigung mit dem Deutschen Bühnenverband (DBV), die Sätze von 112,50 € für eine Probe und 165 € für eine Aufführung vorsahen.¹ Diese Sätze galten allerdings nur für NRW, Rheinland-Pfalz, Hessen und das Saarland und waren auch nicht verbindlich. Der DBV weigert sich bis heute, die Aushilfssätze in den Tarifvertrag aufzunehmen.
Lohndumping bei vielen Orchestern
In anderen Bundesländern ging das Lohndumping derweil munter weiter. Vor allem in strukturschwachen Regionen nutzen viele Orchester die Möglichkeit, Aushilfen untertariflich zu bezahlen, um Kürzungen besser zu verkraften und Schließungen abzuwenden. Im Ergebnis gibt es regional große Unterschiede bei den Aushilfssätzen: Während große Orchester die von der DOV empfohlenen Sätze noch überschreiten und somit für StudentInnen und Selbstständige enorm attraktiv sind, zahlen kleinere Orchester grade einmal 60 € pro Aufführung² – der Anreiz, sich als junge(r) MusikerIn in der Region niederzulassen, ist praktisch nicht vorhanden.
Diese Problem erkannte auch die Landesregierung in Brandenburg 2018 und beschloss fraktionsübergreifend einen Mindestlohn für freie MusikerInnen³ – eine Premiere in Deutschland! Dieser soll ab 2020 gelten. Die Finanzierung der zwingend höheren Aushilfssätze ist allerdings noch unklar und KritikerInnen befürchten bereits, dass die neuen Regelungen umgangen werden könnten.⁴ Die DOV schreibt dazu:
[…] man wird nun sehr genau darauf achten, wie das Kulturministerium 2020 und 2021 den entsprechenden Landtagsbeschluss umsetzen wird. Das erforderliche zusätzliche Geld zur Verfügung zu stellen ist übrigens auch kein Ding der Unmöglichkeit, sondern Sache des Haushaltsgesetzgebers für 2020/21. Auch das war und ist den politischen Parteien im Land Brandenburg durchaus bewusst.
Verhandlungen zwischen DOV und DBV
Im Landesverband Mitte forderte die DOV 2019, die 2004 ausgehandelten Sätze entsprechend der Gehaltserhöhungen der Festangestellten um 35% anzuheben. Der Aufschrei der Orchester und des DBV war natürlich groß: Solche Sätze seien vollkommen absurd und würden den Orchesterbetrieb gefährden. Sowohl DOV als auch DBV schickten Rundschreiben an die Orchester, in denen sie ihre Standpunkte auf teilweise sehr unsachliche Art versuchten deutlich zu machen. Der DBV berechnete beispielsweise den durchschnittlichen Lohn pro Dienst eines Festangestellten, ohne dabei Urlaubstage zu berücksichtigen. Diese Rechnung sollte beweisen, dass die Forderungen der Aushilfen überzogen seien, war aber laut DOV „irreführend und unzutreffend“.⁶
Der Streit gipfelte im April 2019 in den „Fair-Pay-Wochen“: Die DOV rief alle Aushilfen dazu auf, in einem Zeitraum von zwei Wochen exemplarisch die um 35% erhöhten Sätze zu fordern und alle anderen Anfragen abzulehnen.¹ Dieser „Streik“ zeigte Wirkung: Viele Orchester bekamen Probleme, überhaupt noch Aushilfen zu finden und waren dementsprechend erzürnt. Auf Facebook kursierte ein angeblich geleakter Brief eines deutschen Orchesters an ein niederländisches, mit der Bitte, niederländische MusikerInnen zu empfehlen, da die Deutschen momentan lächerliche („ridiculous“) Gagen forderten.⁷ Solch ein Vorgang wäre, würde es sich um einen echten Streik handeln, eine grober Verstoß gegen europäisches Recht.
Die Aktion war ein voller Erfolg. Sie brachte die Situation der Aushilfen auch bei denen ins Bewusstsein, die sich bisher wenig mit dem Thema beschäftigt hatten. Nicht nur die DOV, sondern auch immer mehr Orchester und festangestellte MusikerInnen drängten auf eine Lösung. Am 23. Mai 2019 trafen sich aus diesem Grund VertreterInnen der DOV und des Landesverbands Mitte des DBV und einigten sich auf Eckpunkte einer neuen Vereinbarung. Diese sah laut DOV eine „moderate Erhöhung der Honorare als auch eine Staffelung im Hinblick auf die Eingruppierung der Orchester“ vor.⁵
Alles wieder auf null?
Diese Vereinbarung wurde allerdings von den Orchestern in NRW abgelehnt. Laut einem uns bekannten Intendanten seien die finanziellen Möglichkeiten der verschiedenen Orchester zu unterschiedlich gewesen, um eine gemeinsame Lösung zu finden. Die beschlossenen Sätze hätten zur Insolvenz mancher Häuser führen können, während andere sogar bereit gewesen wären, mehr als den ausgehandelten Kompromiss zu zahlen. Ob das stimmt, können wir natürlich nicht beurteilen. Wie auch immer die Situation tatsächlich aussieht: Die Verhandlungen sind vorerst gescheitert. Unterm Strich ist es der DOV nicht gelungen, eine für alle Seiten akzeptable Lösung zu finden.
Nach den geplatzen Verhandlungen blieb der DOV nichts anderes übrig, als den Ball zu den Aushilfen zurückzuspielen. Ab Juni 2019 wurden Sätze empfohlen, die zwar über denen von 2004 liegen, aber auch deutlich unterhalb der geforderten Erhöhung von 35%.⁵ Auch diese Sätze sind natürlich nicht bindend, aber die DOV verspricht sich davon weiteren Druck auf die Orchester.
Freie MusikerInnen erzwingen Teilerfolg
Und dieser Druck hat schon jetzt gewirkt: Wir haben gehört, dass sich bereits ca. zehn Orchester aus NRW bereit erklärt haben, freiwillig höhere Sätze zu zahlen. Aus unserer eigenen Erfahrung können wir bestätigen, dass diese Pläne schon jetzt in die Tat umgesetzt werden. Das ist das Ergebnis der konsequenten Solidarität der Aushilfen, die durch die Streiks bzw. das Fordern höherer Gagen bewiesen haben, dass in der klassischen Musik sehr wohl alle an einem Strang ziehen können, obwohl dies vor allem für die Freischaffenden ein großes Risiko bedeutet hat. Die Orchester und der DBV hingegen haben gezeigt, dass sie dazu größtenteils nicht in der Lage sind. Spektakuläre Spielpläne und überdimensionierte Inszenierungen sind mancherorts wohl wichtiger als die faire Bezahlung der MusikerInnen. Dies sollte auch für die Festangestellten ein Alarmsignal sein.
Doch man sollte nicht in Jubelstürme ausbrechen. Deutschlandweit hat sich nicht einmal jedes zehnte Orchester zu den neuen Sätzen bereit erklärt. Besonders in den oben angesprochenen strukturschwachen Regionen gibt es keine Anzeichen für eine Regelung auf freiwilliger Basis. Ob die Idee tatsächlich bewirkt, diese Orchester für Aushilfen unattraktiv zu machen, sei dahingestellt. Im schlimmsten Fall könnten solche Regionen kulturell noch stärker abgehängt werden als bisher.
Was gilt jetzt eigentlich wo?
Bei diesen ganzen Zahlen kann man schnell den Überblick verlieren. Daher haben wir für Euch aufgearbeitet, welche Sätze jetzt wo gelten. Dazu muss man natürlich sagen: Alle Aushilfssätze sind nach wie vor unverbindlich und Verhandlungssache. Ihr könnt Euch also weder auf diese Auflistung berufen, noch auf die Empfehlungen der DOV. Es schadet allerdings auch nicht, diese bei Gagenverhandlungen zu erwähnen, um den Orchestern klar zu machen, wie eine angemessene Gage laut Expertenmeinung aussehen würde. Aus unserer Erfahrung können wir berichten, dass manche Orchester sich regelrecht dumm stellen und so tun, als hätten sie von all dem noch nie gehört. Auf solche Argumente sollte man gar nicht eingehen; alle TVK-Orchester wurden und werden laufend von der DOV über das Thema Aushilfssätze informiert.
Für die Orchester in NRW empfiehlt die DOV ab Juni 2019 folgende Sätze:⁵
Orchester ab Kategorie A | Orchester unterhalb Kategorie A | |
Probe | 135 € | 130 € |
Aufführung | 200 € | 190 € |
Diese Sätze werden wie erwähnt nicht von allen Orchestern gezahlt. Für die Orchester des Landesverbands Mitte (NRW, Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland), die sich nicht an die neuen Sätze halten wollen, gilt nach wie vor die Regelung von 2004. Diese sah keine Staffelung (A, B, oder C) vor und lautete:¹
Probe | 112,50 € |
Lange Probe | 140,00 € |
Aufführung | 165,00 € |
Lange Aufführung | 200,00 € |
Die DOV strebt an, die neuen Sätze in Zukunft einheitlich und in ganz Deutschland umzusetzen. Viele Orchester sind davon allerdings weit entfernt. Für sie sollen daher zunächst die Mindeststandards für freie Orchesterprojekte gelten.⁸ Diese sehen (Stand Juni 2019) folgende Vergütung vor:⁹
Probe | 85,63 € |
Tagessatz/Aufführungssatz (mehrtägiges Projekt) | 171,25 € |
Tagessatz/Aufführungssatz (eintägiges Projekt) | 256,87 € |
Diese Beträge sollen auch die Basis für die gesetzlich verpflichtenden Sätze in Brandenburg darstellen. Sie werden laut DOV „ab 2019 im Land Brandenburg eingeführt, gelten verbindlich ab 2020 für vom Land geförderte Projekte und erfassen spätestens ab 2021 auch die vom Land institutionell geförderten Orchester“.³
Grundsätzlich ist zu diesen Sätzen noch zu sagen, dass es sich immer um Mindestvergütungen handelt. Viele Aushilfen sollten beispielsweise die Solo-Zulage in Höhe von 25 % verlangen. Bei besonders schwierigen Partien, sehr kurzfristigen Anfragen oder Sonder-Instrumenten wäre außerdem eine höhere Vergütung angemessen. Dies sollte man gegenüber den Orchestern auch klar kommunizieren: Es kann nicht sein, dass eine Solo-Harfe am gleichen Abend in eine Tannhäuser-Vorstellung springt und dafür genauso bezahlt wird wie eine Tutti-Geige in einem Wochen vorher angekündigten Kinderkonzert.
Alles, was unter diesen Sätzen liegt, kann nicht als angemessene Vergütung bezeichnet werden. Wer zu niedrigeren Sätzen spielt schadet nicht nur sich selbst, sondern auch anderen MusikerInnen, die dem Preisverfall nichts entgegenzusetzen haben. Jeder, der Angebote für Aushilfen bekommt, die unterhalb der oben genannten Sätze liegen, sollte im Interesse aller MusikerInnen ablehnen.
Unser Fazit
Es ist höchste Zeit gewesen, dass die DOV sich des Themas Aushilfssätze annimmt. Auch wenn am Ende keine verbindliche Einigung erzielt werden konnte, wurde mancher Teilerfolg errungen. Das Thema wurde verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Für die Zukunft wünschen wir uns vor allem zwei Dinge:
Erstens sollte die DOV am Thema dran bleiben. Langfristig muss es eine Regelung der Sätze über den Tarifvertrag geben. Streiks und Solidarität sind gut und haben sich als überraschend effektiv erwiesen, aber die Möglichkeiten der freien MusikerInnen sind begrenzt. Die DOV ist also weiterhin gefragt, nicht nur in NRW: Am 28.08.2019 gaben die DOV und andere Gewerkschaften eine gemeinsame Presseerklärung heraus. In dieser forderten sie die Thüringer Landesregierung auf, die Finanzierungslücken der Orchester und Theater dieses Bundeslandes zu schließen. Es wurde genau aufgeschlüsselt, welche Beträge wofür nötig seien. Was in der Auflistung fehlte, waren die Aushilfssätze…¹⁰
Zweitens müssen nun die Orchester Farbe bekennen. Eine einheitliche Regelung wurde erst einmal abgelehnt, also liegt die Verantwortung nun in der Hand der Orchester. Ein „weiter wie bisher“ ist inakzeptabel. Sollten die von der DOV geforderten Sätze tatsächlich die Finanzkraft der Orchester überschreiten, braucht es grundsätzliche Ideen und langfristige Pläne, wie eine faire Vergütung aller Beteiligten gewährleistet werden kann. Die Regelung von 2004 sollte hier ein mahnendes Beispiel sein: Nahezu alle Orchester haben sich zurückgelehnt und keine Anpassung der Sätze von sich aus vorgenommen. Die „plötzliche“ Forderung, die Sätze um 35% anzuheben, kam für viele völlig überraschend. Das sollte zu denken geben: Haben die Orchester wirklich geglaubt, sie müssten die Sätze niemals mehr anheben? Als dann die Streiks kamen, haben die Orchester die Quittung für ihr Verhalten bekommen.
Laura & Daniel
Quellenangaben:
¹ ) https://orchesterland.wordpress.com/2019/03/21/fuer-angemessene-orchesteraushilfenhonorare-fair-pay-wochen/
² ) https://www.thueringer-allgemeine.de/kultur/staatskapelle-weimar-zahlt-am-besten-id224751359.html
³ ) https://www.dov.org/presse_meldungen/landtag-brandenburg-beschliesst-mindestlohn-fuer-musiker
⁴ ) https://www.deutschlandfunk.de/freie-musiker-brandenburgs-kampf-gegen-dumpingloehne.1993.de.html?dram:article_id=435556
⁵ ) https://orchesterland.wordpress.com/2019/06/14/neue-mindesthonorare-fuer-orchesteraushilfen-in-nrw/
⁶ ) https://orchesterland.wordpress.com/2019/03/21/die-anhebung-der-aushilfshonorare-in-orchestern-ist-ueberfaellig/
⁷ ) https://www.facebook.com/platformvoorfreelancemusici/photos/a.197943797810032/278610843076660/?type=3&theater
⁸ ) https://www.dov.org/Freie/hoehere-mindesthonorare-fuer-aushilfen-orchestern
⁹ ) https://www.dov.org/Freie/faire-honorare-fuer-orchesterprojekte-vokalsolisten
¹⁰ ) https://www.dov.org/presse_meldungen/ab-sofort-volle-tarifloehne-thueringen