Laura hat die Sängerin Annika Sophie Mendrala zu Fragen von Mutterschaft und Musik interviewt. Annika ist Gründerin des „Bühnenmütter e.V.“, einem Verein, der sich für familienfreundliche Strukturen an Theatern einsetzt.
Hallo Annika, was machst Du beruflich?
Ich bin klassisch ausgebildete Sopranistin. Ich arbeite hauptsächlich als freiberufliche Konzertsängerin und Gesangspädagogin. Ich bin Stimmbildnerin für einen großen Kirchenchor und leite mit dem Kantor Christopher Bender zusammen das Ensemble Vokalwerk Hamburg. Vor etwa zwei Jahren habe ich zusammen mit Verena Usemann die „Bühnenmütter“, gegründet.
Was wollen die „Bühnenmütter“? Wofür gibt es den Verein?
Wir wollen Frauen stark machen, oder – wie man neudeutsch sagt – empowern. Wir wollen ihnen klarmachen, dass sie nicht schuld sind, sondern dass es ein System und eine Struktur dahinter gibt, die es ihnen sehr erschweren, einfach normal weiterzuarbeiten. Wir wollen diese Frauen vernetzen – denn das sind meistens irre coole Künstlerinnen! Und es sind so schöne Erlebnisse, diese Frauen zusammenzubringen. Das machen wir unter anderem mit digitalen Konferenzen einmal im Monat. Da kann man ganz einfach mitmachen, indem man sich bei unserem Newsletter anmeldet. Darüber hinaus wollen wir diese Frauen auch für künstlerische Projekte vernetzen. Wir wollen die Perspektive der Mutterschaft auf der Bühne verhandelt wissen! Wir wollen nicht, dass diese Frauen den Beruf aufgeben oder nicht mehr so berufstätig sind, wie sie vorher waren, und dann kommen diese Themen einfach nie auf die Bühne. Außerdem wollen wir auch für Mütter auf politischer Ebene Lobbyarbeit machen. Wir haben auch schon mit ersten Politikern und mit Führungspersönlichkeiten in den Theatern selber Gespräche begonnen und wir sind auf einem sehr guten Weg. Es wurde Anfang 2024 ein Maßnahmenkatalog für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie in institutionalisierten Theatern entwickelt, dessen Entwicklung vom BMFSFJ gefördert wurde. Mit diesem Maßnahmenkatalog wollen wir mit den Theatern gemeinsam an familienfreundlicheren Strukturen arbeiten. Das ist unser großer Traum, der schon ganz lange in uns schlummert: Dass wir mit den Theatern zusammen arbeiten und ihnen beratend mit Analysen, Workshops und Pilotprojekten Wege aufzeigen, die Familienfreundlichkeit mitdenken und strukturell verankern.
Wer kann bei Euch Mitglied werden?
Unser Verein nimmt Personen jeder Geschlechtsidentifikation und aus allen Sparten auf. Bühnenkünstler*innen auf und hinter der Bühne, wie z. B.: Sänger*innen, Dramaturg*innen, Dirigent*innen, Maskenbildner*innen, Regisseur*innen etc. Und wir freuen uns auch über Menschen, die inzwischen in anderen Berufen arbeiten, aber ursprünglich, vor der Familiengründung, Bühnenkünstler*innen waren. Und natürlich besonders gerne freie, selbstständig arbeitende Künstler*innen wie freie Musiker*innen, freie Sänger*innen, freie Kostümbildner*innen. Wir haben anfangs gesagt, wir wollen eigentlich keine Leute aufnehmen, die in einem Theater fest angestellt sind, weil sie so viel mehr Rechte und Sicherheit haben. Aber selbst die haben zu uns gesagt: „Bei uns gibt es auch Themen, bei denen wir Hilfe brauchen!“ Also nehmen wir in unserem Verein wirklich alle – übrigens auch Männer, wenn die sich in der Pflege ihrer Kinder verantwortlich fühlen, oder wenn sie mit uns an diesen Themen arbeiten wollen. Sogar Firmen können bei uns sogenannte Fördermitglieder werden.
Und findet die einzelne Frau auch Unterstützung bei konkreten Anliegen?
Dazu gibt es für unsere Mitglieder eine kostenlose Erstberatung zu Rechtsfragen, also zum Beispiel zu den Themen Mutterschutz, Wiedereingliederung, Elterngeld et cetera. Dann haben wir ein Programm, das heißt MENTORING. Dort helfen erfahrene Frauen jüngeren Müttern oder Frauen, die sich Kinder wünschen. Bei uns melden sich ganz viele Frauen, die sich Kinder wünschen, aber nicht wissen, wie sie es machen sollen, was total cool ist: Diese Frauen sind noch gar nicht in der Situation, sie haben also noch die volle Kraft und Flexibilität. Man kann ihnen einfach einen ganz anderen Start in diese Mutterschaft als Künstlerin verschaffen. Und das führt mich zum letzten Projekt von uns, das heißt NEXT GENERATION. Das sind Workshops, die wir an Hochschulen geben und die den Studentinnen aufzeigen können, wo die Probleme liegen.
Unsere früheren Beiträge:
Daniel hat mal ein Interview mit Jérôme Lenzen geführt. Das ist ein Kulturmanager aus Köln, der sich auch mit der Vereinbarkeit von Familie und Musikleben beschäftigt. Zum Beispiel hat er versucht, Kinderbetreuung innerhalb eines Projekts fördern zu lassen, und dann hieß es: „Familienplanung oder Kinderbetreuung ist Privatsache und ist nicht förderfähig.“ Und das würde sich dann ja tatsächlich ändern, wenn ihr euren Maßnahmenkatalog etablieren könntet, oder?
Absolut! Es muss Förderstrukturen geben, die sich speziell diesem Thema widmen, und es muss von der Politik gefördert werden, dass diese Betriebe sich familienfreundlich aufstellen. Es wird ja auch Nachhaltigkeit gefördert. Das ist gerade in aller Munde, und wir sagen: Familienfreundlichkeit ist eine soziale Nachhaltigkeit. Man kümmert sich um die nächste Generation, und man kümmert sich um die jetzige Generation, die man einfach zur Hälfte diskriminiert und langfristig aus dem Beruf ausschließt. Das sind schließlich sehr gut qualifizierte, extrem teuer ausgebildete Akademikerinnen!
Vor welchen konkreten Schwierigkeiten steht zum Beispiel eine Sängerin an einem Theater, die sich eine Familie wünscht?
Eine Sängerin, die am Theater arbeitet, ist ja im Normalfall auf der Bühne zu erleben und hat dann bestimmte Proben zu absolvieren. Das führt schon zum ersten Problem: Die Proben finden sehr oft abends statt, also zu der Zeit, wo man normalerweise Kinder ins Bett bringt. Es ist an Theatern außerdem üblich, dass die Probentermine Tag für Tag ausgegeben werden. Das heißt: Man hat erst um 14 Uhr des Vortages eine Ahnung, wie und wann die Proben am nächsten Tag stattfinden werden. Wenn man Großeltern oder einen sehr verlässlichen und flexiblen Babysitter in der Nähe hat, ist das vielleicht noch nicht so ein Problem. Heutzutage gibt es aber auch viele Babysitter, die sagen, „ich mach das nicht so spontan, ich möchte das gerne zwei bis drei Tage vorher wissen.“ Sobald man zwei oder mehr Kinder hat, wird es dann noch wesentlich komplizierter. Wenn diese Kinder auch noch Hobbys haben, wird es ganz, ganz schwierig.
Wie gehen die Leute am Arbeitsplatz mit einem um?
Viele Frauen erleben, dass sie weniger ernst genommen werden, wenn sie Mütter sind, oder dass sie andere Aufgaben zugeteilt bekommen, die nicht denen entsprechen, die sie vorher gemacht haben. Das erleben auch Frauen in anderen Branchen, dass sie nach einer Geburt nicht mehr so einfach in ihren Job zurückkehren können – weil sie entweder weniger arbeiten oder weil ihnen die Karrieremöglichkeiten einfach nicht mehr so offen stehen wie vorher. Bei Sängerinnen führt das tatsächlich dazu, dass sehr viele von ihnen verschweigen, dass sie Mutter sind, damit sie keinen Imagewandel erfahren. Es ist ganz klar so, dass es am Theater bestimmte idealtypische Frauenbilder gibt, zum Beispiel die sexy femme fatal. Viele Menschen können das irgendwie nicht mit Mutterschaft überein bringen und sagen dann „die kann das jetzt nicht mehr spielen“ – was natürlich absurd ist, denn man spielt ja auch eine Mörderin, obwohl man noch nie jemand umgebracht hat.
Mit dem Verein „Bühnenmütter“ habt Ihr 2022 eine Umfrage durchgeführt. Die Ergebnisse haben mich schockiert: 43 % der befragten Frauen haben angegeben, dass sie ihre Schwangerschaft oder Mutterschaft am Arbeitsplatz geheim gehalten haben.
Ja, das ist wahr. Ich habe selber jahrelang verschwiegen, dass ich Mutter bin. Ich habe das komplett unreflektiert getan. Mir war einfach klar: Wenn ich neu in die Produktion dazukomme und neue Dirigenten oder Regisseure kennenlerne – das waren damals immer Männer –, dann kommt das gar nicht gut, wenn ich sage, dass ich Kinder habe oder mit meinem Mann in einem Haus lebe. Das war alles viel zu spießig und viel zu vergeben und viel zu „gesettlet“.
Das heißt, die Befürchtung, dann als Mutter am Arbeitsplatz benachteiligt zu werden oder in der Karriere behindert zu werden, ist leider sehr real, oder?
Ja, ich würde das so sehen. Jede vierte Frau in unserer Umfrage sagte, ihr wurde ein Vertrag entweder gekündigt oder sie wurde von einer Produktion ausgeschlossen. Ich kenne auch eine Frau, der wurde nach der Ankündigung ihrer Schwangerschaft gesagt, dass die CD-Produktion abgesagt wurde. Der Dirigent hatte Angst, dass sie nicht mehr ihre Leistung bringen könnte. Wenn einem das einmal passiert, dann sagt man es beim zweiten Kind natürlich nicht mehr. Wenn man es bei einer Kollegin mitbekommt, dann sagt man es auch beim ersten Kind schon nicht.
Die Umfrage hat der Initiative, die Eurer Vereinsgründung vorausging, schnell eine große Öffentlichkeit verschafft. Hattet Ihr die Ergebnisse so erwartet?
Man merkte schon, dass die Fragen, die wir für die Studie ausgewählt hatten, wirklich die Fragen waren, die für die Frauen relevant waren. Wir haben abgefragt ob es Diskriminierung gab, wie die finanzielle Situation ist, wie die alltägliche Situation ist, wie die berufliche Situation ist, ob ein Wiedereinstieg möglich war, welche Schwierigkeiten sie erlebt haben und auch, welche positiven Dinge sie erlebt haben. Und da ist heraus gekommen, dass es eine große Scham gibt, öffentlich über die eigenen Schwierigkeiten zu sprechen. Denn wenn man aus der Hochschule kommt, ist das Narrativ: Wenn du gut bist, genug übst und dich voll reinhängst, bist du erfolgreich. Die Frauen sind in ihrer Hochschulzeit sehr erfolgreich, sind super fleißig und haben gute Abschlussnoten. Dann gehen sie ein paar Jahre in den Beruf, bekommen ein Kind, und auf einmal wird es kompliziert. Die meisten Frauen beziehen das auf sich selbst und ihre Leistung, darauf, dass sie es nicht genug wollen oder dass sie nicht gut genug organisiert sind – dass es einfach an ihnen liegt. Das war für uns die Hauptarbeit im ersten Jahr, Frauen klarzumachen: Das ist etwas, was uns allen passiert. Hier ist irgendwas systematisch falsch. Und das hat die Studie untermauert.
Auf Eurer Vereinsseite kann man auch einen Podcast finden, „Mama macht Theater“. Den finde ich sehr hörenswert. Darin sprechen die Sängerinnen Elisabeth Köstner und Lisa Habermann über ihre ganz persönlichen Erfahrungen als Theatermenschen mit Familie. Und darin wird auch eine Geschichte erzählt, dass es tatsächlich üblich zu sein scheint, dass Frauen einen Kredit aufnehmen, um Babysitter zu finanzieren, damit sie arbeiten gehen können. Das ist jetzt so ziemlich das Gegenteil von sozialer Nachhaltigkeit, oder?
Das ist sogar ganz schrecklich! Ich habe mal während einer Produktion in einer Pause mit einigen Schauspielerinnen gesprochen und ihnen von meinem Verein erzählt. Eine von ihnen meinte „Was du da erzählst, war mir jetzt gar nicht so bewusst. Aber ja, wenn du es so sagst: Ich bin alleinerziehend, und ich muss jedes mal einen Babysitter bezahlen, wenn ich zur Abendprobe gehe. Jetzt muss ich einen Kredit aufnehmen, weil ich das Geld einfach nicht mehr habe.“ Und dann guckt ihre Kollegin, mit der sie seit Jahren in demselben Ensemble ist, sie an und sagt: „Gott, du auch?! Ich musste jetzt auch deswegen einen Kredit aufnehmen.“ Ich kriege immer noch eine Gänsehaut, wenn ich diese Geschichte erzähle. Es zeigt eine extreme Ungerechtigkeit. Frauen müssen darüber ins Gespräch kommen und sich vernetzen, um stärker zu sein. Dass diese beiden Kolleginnen nie darüber gesprochen haben, finde ich ganz furchtbar, obwohl ich ihnen dafür auch Verständnis entgegenbringe. Diese Geschichte zeigt, dass Mütter ihren Job so sehr lieben und sich so sehr mit dieser Profession identifizieren, dass es für sie existenziell wichtig ist, ihren Beruf auszuüben. Wir reden von Frauen, die ihren Beruf als Berufung empfinden. Es sind Frauen, die brennen für ihren Job, und das tue ich auch bis zum heutigen Tag. Ich liebe meine Arbeit, ich liebe sie über alles. Jedes mal, wenn ich im Theater bin und auf der Bühne stehe, fühle ich mich, als ob mein Aggregatzustand wirklich wieder der richtige ist. Ja, ich bin dann wie ein Fisch im Wasser, und ich liebe es, es ist aber leider auch so kompliziert und so schwierig.
Ist es ein großes Problem, als Sängerin eine Weile zu pausieren und dann wieder in den Beruf einzusteigen?
Ich selbst habe jetzt so viele Jahre eine lückenhafte Biografie, dass die meisten Theater sagen: „Auf gar keinen Fall!“ Das ist etwas, was ich nicht allein erlebe. Du hast gerade von zwei Kolleginnen gesprochen, die Musical machen, Elisabeth Köstner und Lisa Habermann. Musicals sind sehr extrem, was das angeht. Man muss einen lückenlosen Lebenslauf haben. Wenn man ein halbes Jahr kein Engagement hatte, wird man gefragt warum. Es ist da also wesentlich schwieriger zu verschweigen, dass man ein Kind bekommen hat.
Irgendwann spielt dann natürlich auch das Alter eine Rolle…
Es gibt unzählige Künstlerinnen, die ihr Alter faken. Es ist komplett normal. Ich finde es unglaublich, dass das so sein muss. Das ist Ageism, den Frauen erfahren. Im Musical zum Beispiel gibt es ab 40 Jahren keine Rollen mehr, die gibt es dann erst ab Mitte 50 wieder. Bei Tänzerinnen ist alles noch extremer. Da ist eine Mutterschaft wirklich eine sehr große Entscheidung, weil sie ganz oft dazu führt, dass die Karriere wirklich beendet ist.
Das ist natürlich der worst case, aber leider für viele die Realität. Ich würde gerne nochmal auf die spezielle Situation von freischaffenden Sängerinnen eingehen. Du arbeitest viel mit Frauen
zusammen, die sich eher der freien Szene zugehörig fühlen, oder?
Ja, das tue ich. Für die freie Szene haben wir gerade mit dem Rechercheprojekt BEYOND RE:production zusammengearbeitet. Dort wurde ein sehr cooles Format entwickelt, das With Care. Action Lab. Das Ergebnis, unser toolkit, kann man als Broschüre auf unserer Website herunterladen. Das Projekt fing an mit dem Spruch „Schade, dass du Mutter wirst. Ich mochte immer deine Kunst.“
Wow. Einfach nur wow. Das hat wirklich jemand zu einer Frau gesagt?!
Ja, das ist wirklich jemandem passiert! Dieser Satz, der sagt doch einfach alles… In diesem toolkit sind sehr viele Maßnahmen und Ideen, wie man in der Freien Szene familienfreundlich produzieren könnte. Einige Theater könnten sich da definitiv auch Ideen abholen. Und es ist nicht nur die Perspektive der Menschen, die in der Produktion arbeiten, sondern tatsächlich auch die Perspektive des Publikums von morgen. Wie kann man mehr Familien ins Theater bringen, in die freie Szene, in Aufführungen? Wie kann man Menschen mit Einschränkungen ins Theater bringen? Wie kann man junge Eltern ins Theater bringen?
Das heißt jetzt audience development. Darüber spricht Jérôme Lenzen in unserem Podcast.
Oh, sehr gut! Ja, es gibt da inzwischen sehr interessante Formate. Ich habe einmal von sogenannten relaxed performances gehört, bei denen das Publikum in einer ungezwungeneren Atmosphäre eine Vorführung genießen kann. Das ist gut für Familien oder für Menschen mit Behinderungen, für die der Besuch einer „normalen“ Vorführung sehr stressig ist.
Ich habe mir angewöhnt, Menschen, die ich interviewen möchte, vorher zu fragen: „Und worüber möchtest du noch sprechen? Was ist dir ein Anliegen?“ Als ich dich gefragt habe, hast du wie aus der Pistole geschossen gesagt: „Gender Pay Gap, Gender Care Gap, Gender Pension Gap!“ Also lass uns darüber sprechen!
Ja, das ist auch so eine Ungeheuerlichkeit: Der Gender Pay Gap in Deutschland liegt bei 18 %. In den darstellenden Künsten liegt die Zahl bei 34 %. Das ist einer der höchsten Gender Pay Gaps, die es in Deutschland gibt. Ich finde das unglaublich. Das liegt an einer nicht-transparenten Gagen-Politik, die fast alle Häuser verfolgen. Und es liegt daran, dass Frauen schlecht verhandeln. Das muss man leider so sagen. Damit möchte ich ihnen aber nicht den schwarzen Peter zuschieben! Das hat vielmehr einen ganz großen Rattenschwanz: Ich denke, das Frauen oft so sozialisiert sind, dass sie weniger einstehen für das, was sie brauchen und wollen. Es liegt oft auch daran, dass Männer denken, sie seien grundsätzlich für die finanzielle Verantwortung in der Familie oder in der Partnerschaft zuständig. Und das ist auch die Realität in vielen Partnerschaften und Familien.
In Eurer Umfrage kam auch heraus, dass sich 50 % der befragten Frauen nicht selber versorgen könnten.
Das ist natürlich ein absolutes Unding. Es ist auch eine Katastrophe, was die Rentenbezüge angeht. Es ist bei uns übrigens auch durchgeklungen, dass es Alleinerziehende besonders schwer haben und fast nie in dem Beruf bleiben, weil es wirklich fast nicht möglich ist.
Aus dem Gender Pay Gap folgt langfristig der Gender Pension Gap. Das heißt, Frauen sind signifikant häufiger von Altersarmut betroffen, vor allem wenn sie Mütter sind.
In unserer Studie haben 71 % gesagt, dass sie Angst vor Altersarmut haben. Das ist in unserer Branche signifikant höher als im Bundesdurchschnitt. Der liegt bei etwa 50 %.
Und jetzt kommen wir noch zum Gender Care Gap.
Genau, der Gender Care Gap beträgt mehr als 52 %. Das bedeutet, dass Frauen sich in der Regel mehr um ihre Kinder kümmern. Und in einem bestimmten Alter, nämlich bei 34-Jährigen, liegt dieser Gender Care Gap bei 110 %. Dass liegt natürlich daran, dass die Frauen da meistens ihre Kinder bekommen und dann 100 % für das Baby da sind. Solange sich das nicht signifikant ändert, sind immer die Frauen diejenigen, die ihre Arbeitszeit reduzieren. Dann sind sie es auch, die die karrieretechnischen Nachteile davontragen. Es ist wirklich eklatant, was Frauen finanziell einfach in Kauf nehmen müssen, weil sie sich um ihre Kinder kümmern. Und unter Care-Arbeit fällt ja nicht nur die Kinderbetreuung, sondern auch die Pflege von Angehörigen. Es ist bis zum heutigen Tage so, dass im Normalfall die Frauen die meiste Care-Arbeit für ihre Kinder oder für ihre alternden Angehörigen machen.
Puh, das alles klingt nicht unbedingt so, als sei es eine gute Idee, Sängerin und Mutter zugleich zu sein?!
Wir sprechen jetzt natürlich viel über diese alarmierenden Dinge. Das klingt wahnsinnig deprimierend. Was mir zum Beispiel beim Podcast „Mama macht Theater“ gut gefällt, ist, dass auch darüber gesprochen wird, dass es funktionieren kann. Man hört, was die Frauen gewinnen, wenn sie Familie mit Theater in Einklang bringen können, und was vielleicht auch die Gesellschaft gewinnt, wenn sie die Mütter in ihrer Mitte arbeiten lässt. Ich denke, dass ich da für viele Frauen spreche. Man fühlt sich reicher an Themen, an Perspektiven und manchmal auch an künstlerischem Können, wenn man Mutter geworden ist. Das Selbstbild ist nicht so, dass man sich schlechter oder biederer oder uninteressanter findet, ganz im Gegenteil: Eigentlich traut man sich mehr zu. Man gewinnt bestimmte Perspektiven und Blickwinkel, die man sonst nie gehabt hätte und die künstlerisch extrem wertvoll sind. Ich würde auf der Bühne sehr gerne mehr dazu sehen, zu einem Blickwinkel, der sich auf Kinder ausrichtet, auf Care-Arbeitende, auf Menschen, die zwar nicht sehr viel Geld verdienen, aber die eine extrem wertvolle Arbeit machen. Ich würde gerne ein Stück über Pflegende oder über Erzieher sehen. Das kommt bisher so aber nicht vor auf Theaterbühnen.
Liebe Annika, ich danke Dir für das Gespräch! Wir wünschen Euch viele neue Mitglieder bei den „Bühnenmüttern“ und viel Erfolg bei Eurer Arbeit!