In diesem Blog haben wir kürzlich über den Fall Siegfried Mauser berichtet (hier und hier nachzulesen). Was war passiert? Der ehemalige Präsident der Musikhochschule München wurde im Mai 2018 zum zweiten Mal wegen sexueller Nötigung verurteilt. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig, aber der Fall hat an der Hochschule hohe Wellen geschlagen. Auf Druck der Medien wurden von der aktuellen Hochschulleitung verschiedene Maßnahmen angekündigt, die in Zukunft Gewalt und Missbrauch an Hochschulen verhindern sollen. Deren Wirksamkeit ist umstritten. Im Rahmen des Prozesses gab es umfangreiche Recherchen der SPIEGEL-Journalisten Martin Knobbe und Jan-Philipp Möller, die herausfanden, dass der Fall Mauser nur die Spitze des Eisbergs ist. Unter anderem konnten sie die Ergebnisse einer Umfrage aus dem Jahr 2016 einsehen, die die Musikhochschule München bis dahin unter Verschluss gehalten hatte. Daraus ging hervor, dass es viele weitere Fälle von (sexueller) Gewalt und Machtmissbrauch an der Münchener Musikhochschule gab und gibt. An anderen Musikhochschulen sieht die Situation vermutlich nicht viel anders aus.
Und damit nicht genug: Die Musikhochschule München hat sich bisher nicht dazu geäußert, dass Siegfried Mauser ab dem nächsten Semester wieder unterrichten möchte, trotz der erst- und zweitinstanzlichen Urteile. Ein solches Vorgehen wäre bei anderen Arbeitgebern undenkbar. Es ist mehr als deutlich, auf wessen Seite die Hochschule steht – zu einer Solidaritätsbekundung oder gar einer Entschuldigung für die Opfer konnte sie sich bisher nicht durchringen.
Präzisierung vom 19.06.2018: Uns ist nicht bekannt, ob die HMT München sich aktiv um die Wiederbeschäftigung Siegfried Mausers bemüht oder sein Bestreben, wieder an der Hochschule zu unterrichten, unterstützt. Falls jemand dies so verstanden hat, war das nicht unsere Absicht. Fakt ist aber, dass Mauser davon ausgeht, im nächsten Semester wieder in München zu unterrichten, da er bisher nur beurlaubt ist. Das Arbeitsrecht wäre in diesem Fall auch auf seiner Seite, da er bisher nicht von seinem Arbeitgeber, der HMT München, suspendiert oder abgemahnt wurde. Anders sieht die Situation in Salzburg aus, wo sein Arbeitsvertrag aufgelöst wurde.
Unser Unmut über die Situation stützt sich vor allem darauf, dass nach unserem aktuellen Kenntnisstand von der Hochschule bisher keine Solidarisierung mit den Betroffenen und unserer Meinung nach auch keine ausreichende Distanzierung von der Person Siegfried Mausers erfolgte.
Die Reaktionen auf den Fall
Es ist aus verschiedenen Gründen nicht zu erwarten, dass die Musikhochschulen das Problem von selbst in den Griff bekommen. Zu starr sind die Hierarchie- und Machtstrukturen, um gegen einzelne Dozenten, die gegen Regeln und Gesetze verstoßen, vorzugehen. Für uns liegt die einzige Hoffnung daher im Engagement der Studenten selbst. Doch das stellt ein erhebliches Problem dar: Viele Studenten haben große Angst, dass sie dadurch Repressalien durch ihre Dozenten erleiden werden oder ihre Karriere gefährden.
Als wir in unserem Blog über den Fall berichteten, rechneten wir nicht ernsthaft damit, dass wir irgendeine Aufmerksamkeit erreichen würden. Die Reichweite unseres Blogs ist nicht sehr groß und unsere Social-Media-Aktivitäten halten sich in Grenzen. Umso überraschter waren wir, als ein paar Tage später der SPIEGEL-Journalist Jan-Philipp Möller bei uns anrief – und dass nur, weil wir die aktuelle Berichterstattung auf unserem Blog zusammengefasst hatten. Zwischen den Zeilen hörten wir, dass es offenbar mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, aktive Mitglieder der Musikszene zu finden, die bereit sind, sich öffentlich zu dem Thema zu äußern.
Immerhin ist das Thema inzwischen in der öffentlichen Debatte angekommen. Es gibt Politikerinnen (z.B. Claudia Stamm von „Mut“, Verena Osgyan von den Grünen oder Isabell Zacharias von der SPD), die sich des Themas annehmen. Es ist demnächst eine Podiumsdiskussion zum Thema „Sexualisierte Gewalt“ in München geplant, an der neben Claudia Stamm auch Moritz Eggert, Professor für Komposition an der HMT München, teilnehmen soll. Er setzt sich schon seit Bekanntwerden der ersten Vorwürfe unermüdlich für die Aufklärung aller Vorfälle an seiner Hochschule ein.
Was können wir tun?
Das kann so nicht weitergehen! Die völlig veralteten Machtstrukturen an Musikhochschulen müssen endlich an die moderne Pädagogik angepasst werden. Es kann nicht sein, dass Gewalt und Missbrauch geduldet werden, nur weil die Täter einen „großen Namen“ haben! Um das zu ändern, müssen wir alle aktiv werden!
Daher werden wir bald eine Seite auf diesem Blog erstellen, wo MusikerInnen Ihre Erfahrungen schildern können. Wir werden die Berichte so anonymisieren, dass keine Rückschlüsse auf beteiligte Personen (TäterInnen und Opfer!) oder Hochschulen möglich sind. Um dies vorzubereiten, müssen wir ein paar technische Änderungen an diesem Blog vornehmen. Habt also bitte noch ein paar Tage Geduld! Es würde uns sehr freuen, wenn sich möglichst viele aktuelle und ehemalige StudentInnen, aber vielleicht auch DozentInnen oder Mitglieder der Hochschulverwaltungen melden. Durch unsere Erfahrung mit Musikhochschulen wissen wir, wie leicht sich Personen anhand von einzelnen Angaben wie dem Instrument oder dem Alter identifizieren lassen. Ihr braucht also keine Sorge zu haben, dass Eure Identität „versehentlich“ herauskommt. Ihr braucht auch keine Angst haben, dass Eure Erlebnisse zu unbedeutend sind oder ihr dafür persönlich angefeindet werdet. Der einzige Sinn der Berichte ist das Aufdecken von gravierenden Missständen und die Verbesserung der Situation für alle Musiker. Da ist jeder Beitrag willkommen!
Auch andere haben bereits Möglichkeiten geschaffen, sich anonym auszusprechen: Der Komponist Moritz Eggert, der sich in der Aufklärung der Vorfälle an der HMT München engagiert, ruft auf Facebook dazu auf, ihn zu kontaktieren.
Die Recherche der SPIEGEL-Journalisten Martin Knobbe und Jan-Philipp Möller zum Thema ist ebenfalls noch nicht abgeschlossen. Nach wie vor suchen sie Musiker, die Fälle von körperlicher, psychischer oder sexueller Gewalt, Belästigungen oder sonstige Formen des Machtmissbrauchs erlebt haben und bereit sind, darüber zu sprechen. Ihr könnt sie gerne per Mail unter martin.knobbe@spiegel.de kontaktieren, die Telefonnummer erfahrt Ihr von uns. Auch hier sind Diskretion und Anonymität das oberste Gebot! Das bedeutet konkret, dass niemand fürchten muss, seinen oder ihren Namen irgendwann in der Zeitung zu lesen, ohne dass er bzw. sie dem zugestimmt hat. Welche weiteren Schritte im einzelnen unternommen werden, wird dann zu klären sein. Natürlich wäre es optimal, wenn sich auch Leute finden würden, die bereit wären, sich öffentlich zu äußern.
Sprecht darüber!
Toll wäre es auch, wenn Ihr untereinander – entweder in der Klasse mit anderen Studenten oder mit Euren Freunden und Bekannten – über das Thema redet und andere animiert, uns ihre Erfahrungen zu schreiben. Nur so kann die Mauer des Schweigens durchbrochen werden. Wir versuchen, unseren Teil dazu beizutragen und so ein Klima des Austauschs zu schaffen. Wir hoffen, dass es irgendwann möglich sein wird, sich unter seinem richtigen Namen zu äußern, ohne negative Konsequenzen fürchten zu müssen.
Liebe Musikerinnen und Musiker, wenn Ihr etwas zur Erneuerung der Unterrichtskultur an unseren Hochschulen beitragen wollt, tut es jetzt! Noch nie war die Chance größer, dass Vorfälle aufgeklärt werden und sich das Klima an Musikhochschulen nachhaltig ändert – lasst sie nicht ungenutzt verstreichen!
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Auch die HMT Leipzig setzt sich mit diesem brisanten Thema auseinander. Am 22. Juni ab 14h laden wir zu einem Podium und ab 16h zu einem Workshop ein. Uns geht es vor allem um die Sensibilisierung für das Thema und die Erarbeitung sinnvoller Präventionsmaßnahmen. Herzlich sind alle Interessierten eingeladen, vorbei zu schauen. https://www.facebook.com/events/306992039837486/